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Im Dickicht der Kommissionen

von ULRIKE HERRMANN

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering wurde gestern deutlich: Die Sozialsysteme seien nur mit „Sensibilität“ zu reformieren. Man müsse die Menschen „mitnehmen“. Die Rürup-Kommission hat noch gar nicht getagt, da ist er schon dagegen, ihre Ergebnisse 1:1 umzusetzen.

Aber vielleicht bleibt ihm dies sowieso erspart. Denn regierungsintern rechnet man nicht damit, dass sich die Rürup-Kommission einigen wird. „Das war eine typische Schröder-Idee.“ Was in neueren Zeiten bedeutet: eine Idee, die scheitert.

Denn der Vorsitzende Bert Rürup, aber auch die beiden CDU-nahen Rentenexperten Börsch-Supan und Bernd Raffelhüschen hätten „ganz andere Vorstellungen als die Gewerkschaften“. Dazu gehört etwa der Vorschlag, diverse Sozialleistungen zu privatisieren oder das Rentenalter drastisch zu erhöhen. Und die Kompromissbereitschaft wird nicht hoch eingeschätzt: „Die weichen nicht von ihren Vorstellungen ab“.

Zudem finden die Fachleute die Zusammensetzung der Kommission ein wenig bizarr: „Fast nur Rentenexperten!“ Dabei soll sich die Reformkommission verstärkt um das Gesundheitswesen mühen, „aber Gesundheitsökonomen fehlen“. Karl Lauterbach sei der einzige – allerdings nicht zu unterschätzen.

Der Duzfreund von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) fiel etwa durch dieses harsche Urteil auf: Ein Viertel aller medizinischen Leistungen, so Lauterbach, seien „glatt überflüssig, weil keine wissenschaftliche Untersuchung ihren Nutzen belegt“. Solche Äußerungen beunruhigen die Ständevertreter: Ärzte und Apotheker haben sich bereits beschwert, dass sie keinen Vertreter schicken durften.

Sollte die Rürup-Kommission tatsächlich ohne einstimmiges Votum enden, wäre sie nicht das erste Gremium, das sich ergebnislos auflöst. Deutschland ist ein Kommissions-Dickicht – nur die Experten bleiben meist die Gleichen.

So existiert seit 1977 die „Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen“, die sogar gesetzlich verankert ist (SGB V, §141, 142). Verbandsfunktionäre sollen sich um Konsens bemühen. Tatsächlich aber traf man sich 1995 zum letzten Mal, „denn es kam nichts raus“, kommentiert ein Insider.

Nur der „Sachverständigenrat“ aus sieben Wissenschaftlern, der ebenfalls zu dieser konzertierten Aktion gehört, erstellt noch seine Gutachten. Besonders das letzte dieser Gutachten sorgte für Furore, das sich 2001 mit der Fehl-, Über- und Unterversorgung im deutschen Gesundheitswesen beschäftigte. Am Beispiel Aachen wurde etwa nachgewiesen, dass in Deutschland nur 40 Prozent aller Brustkrebsfälle rechtzeitig erkannt werden, im nahen Maastricht aber 80 Prozent.

Unterversorgung herrscht auch bei allen anderen chronischen Krankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck. Sie erzeugen zwar zwei Drittel aller Kosten – doch für die Prävention wird kaum etwas getan. Stattdessen therapieren die Ärzte lieber hinterher, das bringt mehr Geld. So können sie bei der „Volksseuche“ Rückenschmerzen ihre Röntgenuntersuchungen und Operationen höchst lukrativ abrechnen. Aber vorsorglich eine Rückenschule zu verschreiben lohnt sich eben nicht. Einer der sieben Sachverständigen war übrigens: Karl Lauterbach.

Doch ein Beratergremium reichte Ulla Schmidt nicht, deswegen berief sie noch ein zweites: Nebenher tagte „Der runde Tisch zu Reformen im Gesundheitswesen“. Zwar löste sich diese Konsensrunde nach einem Jahr wieder auf. Aber vorher war man in allem Dissens ebenfalls zur Erkenntnis vorgedrungen, dass mehr Prävention vonnöten sei. Mitglieder von damals, die diese Gremienerfahrung in der Rürup-Kommission erneut beleben können: DGB-Vizin Ursula Engelen-Kefer und Arbeitgebervertreter Jürgen Husmann.

Nicht nur bei Gesundheitsfragen kann sich Schmidt auf rege Berater verlassen: Seit 1957 ist auch der „Sozialbeirat“ gesetzlich vorgeschrieben (SGB VI, § 154–156). Jährlich hat er sich zum Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung zu äußern. Anfang Dezember war es wieder so weit – und der Vorsitzende begrüßte die neue Rürup-Kommission. Kein Wunder, der Vorsitzende des Sozialbeirats heißt: Bert Rürup. Er ist übrigens nicht der einzige Sozialbeirätler, der sein Wirken in der neuen Kommission fortsetzen kann: auch seine Kollegen Jürgen Husmann und die Verwaltungswissenschaftlerin Gisela Färber sind dabei.

Nun ist es für ein Parlament immer schwer zu ertragen, wenn die Regierung unbeaufsichtigt denkt. Deswegen gründete man 1992 die Enquetekommission „Demographischer Wandel“, die insgesamt zehn Jahre lang tagte und im Frühjahr ihren Abschlussbericht vorlegte. Auch dort erkannte man, dass Prävention nicht schadet, dass das Gesundheitssystem mehr Wettbewerb gebrauchen könnte, dass die unkontrollierbaren Abrechnungen der Ärzte problematisch sind oder dass man die Beitragsbemessungsgrenzen überdenken könnte. Über 300 Seiten hatte man am Ende verfasst, doch sie blieben weitgehend ungelesen. Insofern ist es nur konsequent, dass die damaligen Kommissionsmitglieder Gert Wagner und Bert Rürup nun in der Rürup-Kommission erneut versuchen, ihre Ideen durchzubringen.

Aber das ist noch längst nicht das Ende aller Gremien: Der Sachverständigenrat der Bundesregierung, auch „fünf Weise“ genannt, hat sich im Herbst ebenfalls mit 5 seiner 20 Programmpunkte zum Gesundheitswesen geäußert. Wieder dabei: Bert Rürup, der schon Riester und Blüm in weiteren Rentenkommissionen beraten hat. Darüber hinaus befassen sich OECD und die EU mit dem deutschen Sozialsystem – und auch die EZB neigt nicht dazu, dieses Thema zu ignorieren.

Neben diesen staatlichen Runden gibt es aber auch privates Nachdenken. So fördert die Deutsche Bank das „Deutsche Institut für Altersvorsorge“. Dort, welch Wunder, propagiert man gern private Rentenmodelle, die auch von Banken verkäuflich sind. Dies hat wiederum den „Verband Deutscher Rentenversicherer“ nervös gemacht: Seit 2001 existiert daher das „Forschungsnetzwerk Alterssicherung“, das für eine „rationale Diskussion“ sorgen soll, die nicht allein von „gewinnorientierten Interessen“ geleitet werde. Das hehre Ziel hat übrigens Verbandschef Franz Ruland formuliert – auch er sitzt nun in der Rürup-Kommission.

Und eine weitere Gremien-Vermehrung ist schon abzusehen: Die SPD-Fraktionsvizin Gudrun Schaich-Walch kündigte an, dass man die Rürup-Kommission mit „eigenen Experten“ begleiten wolle. Schließlich geht es um viel Geld: Das Gesundheitswesen setzt 300 Milliarden Euro um und beschäftigt vier Millionen Menschen – die kann man unmöglich nur einer Regierung überlassen, wo es doch so viele Experten gibt. Das jedenfalls scheint der einzige Konsens zu sein.

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