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„Nicht schön gemütlich, sondern pur“

Berlin ist meine Stadt, sagt Katharina Thalbach. Hier hat Helene Weigel sie mit dem Satz „Pupperl, das ist dein Ritt über den Bodensee“ auf die Bühne geschubst. Jetzt inszeniert sie „Romeo und Julia“ am Maxim Gorki Theater und sehnt sich unbedingt nach Liebe sowie einem Kultursenator mit Ideen

Interview ROLF LAUTENSCHLÄGER und ADRIENNE WOLTERSDORF

taz: Frau Thalbach, man darf Sie auf keinen Fall auf Ihre schönen großen Augen ansprechen. Warum?

Katharina Thalbach: Na ja. Weil sich dann immer so blöde Fragen anschließen, wie „Sind Sie eine Kindfrau?“ oder so was. Fürchterlich.

O. k., wir werden sofort sachlich. Sie proben derzeit am Maxim Gorki Theater „Romeo und Julia“. Am 22. Januar ist Premiere. Sie sind die Regisseurin. Lampenfieber?

Ja, und es wird immer schlimmer. Von Inszenierung zu Inszenierung frage ich mich, warum tu ich mir das eigentlich an.

Weil es um das Machen, das Verantwortung-Haben geht?

Das Schöne am Schauspielern ist, nur für sich selbst verantwortlich zu sein. Bei der Regiearbeit kann man das nicht. Aber ich betrachte das immer noch als Experiment. Mal sehn, ob’s gut geht. Ich sage Ihnen, es ist ja fürchterlich, was für Schwierigkeiten man sich selber macht.

Hilft dagegen nicht der Thalbach’sche Berliner Dialekt?

Ich habe überhaupt nur vier Stücke gespielt, in denen ich Dialekt gesprochen habe. „Biberpelz“, „Die Ratten“, „Der Hauptmann von Köpenick“. Das vierte fällt mir schon nicht mehr ein.

Sie haben aber dieses Image weg. Außerdem berlinerten Sie in Ihren Filmrollen, angefangen bei Ihrem ersten großen Erfolg in „Engel aus Eisen“. Oder?

Das war doch nicht sooo dicke! Ich unterdrücke meinen Dialekt eben nicht, schon gar nicht privat. Aber auf der Bühne spreche ich hochdeutsch. Das kann ich auch! (lacht) Mein Gott, ich liebe meine Stadt und auch den Dialekt.

Der galt lange als „prollig“. Nach dem Fall der Mauer scheint er Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins zu sein.

In der DDR war das normal.

Gregor Gysi hat das Berlinern sogar salonfähig gemacht.

Ja, Gysi hat das bis hinein in die Politik getragen. Ich will ja nicht behaupten, dass wir Schauspieler Intellektuelle sind. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass wir in die alten deutschen Kleinstaaten zurückfallen. Man ist stolz, dass man aus diesem Bundesland kommt und keinem anderen. Schauen Sie sich die Comedy-Shows an, die auf ganz spezielle Typen aus einem jeweiligen Land zugeschnitten sind.

Sie haben in „Romeo und Julia“ beide Hauptrollen mit sehr jungen Schauspielern besetzt. Warum?

Ich habe halt Lust auch gemeinsam neue Erfahrungen zu machen. Nur die Julia, also Heike Warmuth, ist in ihrem letzten Studienjahr an der Ernst-Busch-Schule. Die ist ganz jung, 23. Fabian Krüger ist schon seit längerem ein „Abgänger“. Der kommt aus Zürich.

Was geben Sie den Jungen mit auf den Weg, wenn’s zur Premiere auf die Bühne geht?

Die machen das heute viel leichter. Es ist schon merkwürdig, mit welcher Cleverness heute Leute von der Schule kommen.

Wissen Sie noch, was Ihnen Helene Weigel, ihre Mentorin, bei Ihrem Debüt in der „Dreigroschenoper“ mitgegeben hat?

„Pupperl, das ist dein Ritt über den Bodensee“, hat sie zu mir gesagt.

Haben Sie Angst gehabt, abzusaufen?

Nee, damals viel weniger als heute. Man ist ja so naiv …

und weiß auch erst später, was abstürzen heißt.

Ja, das würde ich mich heute nie wieder trauen.

War es gut?

Es war etwas Besonderes, Schönes. Diese drei Tage auf der Bühne waren der Grundstein für die Zukunft. Wenn ich das nicht gemacht hätte, wäre mein Leben anders verlaufen. Es war ein Wendepunkt – auch weil ich über Nacht und mit 15 eine Aufmerksamkeit erhalten habe, die eigentlich nicht normal ist für den Werdegang einer Schauspielerin.

Heute schon.

Am Theater nicht. Im Fernsehn sicher, ich finde das bedenklich.

Warum?

Die Leute müssen wissen, was sie da tun, und sich bewusst sein, dass es heißes Eisen ist, das sie anpacken. Dann haben sie vielleicht eine Chance, damit umzugehen. Wenn man nicht erkennt, dass die Produktionen auf einen kurzfristigen Gebrauchswert zugeschnitten sind, der sehr brutal mit Menschenmaterial umgeht, halte ich das für sehr gefährlich. Die Kids tun mir Leid.

Was ist denn bei Ihnen aus der Zeit von Helene Weigel geblieben?

An erster Stelle ist das die Arbeit mit der Sprache. Dann die naive Übersetzung und der Hang zu Volks- und Kindertheater – ohne blöd zu sein. Das hat mich immer gereizt.

Warum sind Sie eigentlich immer noch hier in Berlin?

Ich habe schon in München, Hamburg und in Paris gearbeitet. Aber Sie haben Recht, in erster Linie in Berlin. Hier sind die Kontinuitäten, die ich brauche. Es wäre ein Horror, wenn es das Familiäre nicht gäbe.

Berlin – ist das Ihre Stadt?

Klar, das ist meine Geschichte, das ist mein Leben. Oft hatte ich ganz heftige Sehnsucht nach Berlin, weil es doch immer wieder eine sehr junge Stadt ist. Nicht besonders schön, nicht besonders gemütlich. Aber Berlin ist so pur. Alles was passiert, es sind ja meistens keine guten Sachen, spürt man hier so was von deutlich. Das mag ich. Ich habe sehr frühe Erinnerungen, wirklich noch an das Nachkriegs-Berlin, ich kenne das geteilte Berlin von beiden Seiten. Jede Ecke ist Geschichte für mich. Hier nicht mehr leben zu können, wär für mich ziemlich schrecklich.

Ist hier Ihr Zuhause?

Zuhause? Beim Drehen ist man nicht zu Hause. Theater spiele ich aber schon am liebsten zu Hause.

Und jetzt sind Sie zu Hause Regisseurin. Warum dieser Wechsel?

Komisch. Wie andere Schauspieler auch hab ich immer über die Regisseure gemeckert. Aber meckern ist so unproduktiv. Es war zwar Zufall, dass ich mit 33 Jahren ein Regieangebot bekam, gleichzeitig war mir aber klar, dass ich 20 Jahre geschauspielert hatte und was anderes ausprobieren wollte.

Was reizt Sie denn, einen so klassischen Stoff wie Shakespeare zu inszenieren?

Ich mache das Stück ja auch für Leute, die anfangen Theater zu gucken. Ich glaube auch nicht, dass jeder solche Stücke kennt. Meist sind es doch nur Schlagworte oder die Balkonszene. Außerdem gibt es hier eine Vorgeschichte mit Thomas Brasch …

Dramatiker und Ihr Lebensgefährte …

Ja. Es gab den Plan, am Gorki wieder Shakespeare zu inszenieren. Ich wollte den „Kaufmann von Venedig“ machen, Brasch sollte eine neue Übersetzung machen. Nun ist Brasch gestorben und es gab keine postume neue Übersetzung. Am Schiller Theater haben wir Romeo und Julia auf der Grundlage der deutschen Wiedervereinigung gepielt. Jetzt setzte ich mich mit dem Text anders auseinander.

Ist das Thema Ost/West für Sie als Künstlerin vorbei?

Vorbei ist es nicht. Aber hier gibt es einen anderen Punkt, der mich interessiert. Das ist die Pest. Diesen Punkt will ich im Stück vergrößern. Sterben ist eigentlich das Normale im Leben. Heute häufen sich die Leichen, wenn ich an Kriege und Zerstörung denke. Die Menschen setzen beim Tod noch eins drauf, statt zu sagen, die Natur macht das schon alleine.

Welche Rolle spielt die Liebe in dem Stück für Sie?

Es ist die unbändige Sehnsucht nach der Liebe. Offensichtlich muss man sterben, damit es die große Liebe wird. In der Kunst zieht sich das durch. Nennen Sie mir ein großes Liebespaar, das nicht gestorben ist.

Das könnte jetzt dauern … Was hat Sie denn gereizt, in „Sonnenallee“ mitzuspielen? War das eine Antithese zu den bitteren Stoffen, die andere aus dem Osten machten.

Es hat einen Riesenspaß gemacht und ich fand es sehr legitim, wie Leander Haussmann sich mit dem Thema auseinander gesetzt hat. Ich habe auch 21 Jahre im Osten gelebt. Nach all dem, was der DDR nach der Wende an Dreck hinterhergeschmissen wurde, fand ich es gut, es einmal anders zu zeigen. Es gab einen normalen Alltag, der seine Tücken hatte, und das war manchmal saukomisch.

Das haben Wessis mit „Sonnenallee“ auch gelernt.

Ich halte Lachen für etwas Reinigendes und habe Umberto Eco dafür geliebt, dass er eine Katharsis des Lachens erfand. Als ich 1976 in den Westen kam, war ich entsetzt, wie wenig Witze es dort gibt. Ich hab den Westen überhaupt nicht humorvoll empfunden.

Wenn Sie sich Berlin heute anschauen, insbesondere den Kulturbereich – vergeht Ihnen da machmal das Lachen?

Da fällt mir im Augenblick nichts mehr ein. Die Verschuldung reicht ja locker an die der DDR heran. Das Schlimmste ist, dass sich das in so einem merkwürdigen Lebensgefühl breit macht. Berlin ist so utopielos. Furchtbar.

Ärgert es Sie, dass Ostberliner, nämlich die PDS, in der Berliner Regierung das nun alles irgendwie verargumentieren?

Es ist mir wurscht. Ich habe die PDS gewählt. Ich werde das nicht nochmal tun.

Aber Sie hatten mit ihr doch einen Hoffnungsschimmer für eine andere Politik?

Wahrscheinlich ist man blöd, sich einzubilden, dass die das könnten.

Ihr Dienstherr, Kultursenator Thomas Flierl, ist auch von dieser Truppe. Was erwarten Sie denn von dem?

Gar nüscht. Ich habe so viele Kultursenatoren erlebt und noch nie das Gefühl gehabt, dass das Leute sind, die Ideen haben.

Wird denn in der Theaterkantine über Kulturpolitik diskutiert?

Ja, aber immer nur mit dem Tenor Angst. Keiner will, dass es ihm an die Wäsche geht. Das ist der Punkt, bei dem ich außen vor stehe, ich bin nicht fest engagiert und seit Jahren Gast mit allen Risiken: kein Urlaubsgeld, keine Weihnachtszulage, kein Krankengeld.

Wollten Sie das so?

Ja. Wenn man fest in einem Ensemble ist, hat man zwar Sicherheiten, aber man muss für jede Sache – etwa für Dreharbeiten – um Urlaub nachsuchen. Und das geht meistens nicht. Ich leiste mir die Freiheit, selbst mit meiner Zeit umzugehen.

Warum bleiben Sie am Gorki Theater?

Na ja, nach der Schließung des Schiller Theaters hatte mich das Gorki für den „Hauptmann von Köpenick“ engagiert. Das war für mich der Zeitpunkt, wieder ein bisschen zurück in den Osten zu gehen. Das Gorki war auch das einzige Berliner Theater, das ich noch nicht kannte. Bis auf die Schaubühne, die haben nie was von mir gewollt, denen war ich, na ja, nicht fein genug.

Was macht das Gorki denn für Sie besonders?

Die Nische. Nicht weil ich da machen kann, was ich will – ich weiß ja gar nicht, was ich will. Aber man ist hier so ein bisschen Druck los.

Macht es denn gegenwärtig Spaß, Theater zu spielen?

Es ist schwierig. Die Theaterkritiker hauen so drauf, als ob sie selbst dafür sorgen wollten, dass hier irgendwann alles geschlossen wird. Es herrscht eine komisch-selbstzerstörerische Stimmung, nicht nur am Gorki, sondern überall.

Gibt’s ein Rezept dagegen?

Ick hab keens. Ich kann das nur so machen, wie ich es kann. Ein Haus voll zu kriegen mit Boulevard, ist ja hier undenkbar. Im Berliner Westen dagegen hat das Theater ja fast noch Gebrauchswert. Man geht da hin, guckt zu und sagt sich, war ein schöner Abend oder nicht. Aber sonst, immer die Erwartung einer Sensation. Da kann ich nur sagen, Hör’nse mal, wir arbeiten doch ooch nur. Wir sind nicht dafür zuständig, dass die Leute jedes Mal eine Sensation brauchen.

Wenn Sie, wie wir hoffen, erst in vielen, vielen Jahren, von der Bühne abtreten – geht dann die letzte große Berliner Schauspielerpersönlichkeit?

Erst mal vielen Dank für das Kompliment. Aber nein, das glaub ich nicht … Das wird, also nein … schon die Großen zu meiner Jugendzeit haben uns misstrauisch angeschaut. Klar ist Harald Juhnke für eine bestimmte Zeit ein Symbol. Aber ich stehe für etwas anderes. Und auch in Zukunft werden Persönlichkeiten davon abhängen, inwieweit Theater hier existieren wird.

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