: Klaus Wowereit steht vor Gericht
Morgen entscheidet das Bundesverfassungsgericht über das Zustandekommen des rot-grünen Zuwanderungsgesetzes. Und darüber, ob der Regierende Bürgermeister als damaliger Präsident des Bundesrates die Verfassung gebrochen hat
von ROBIN ALEXANDER
Morgen steht Klaus Wowereit in Karlsruhe vor Gericht. Nicht in persona, der Regierende bleibt am Mittwoch in Berlin. Aber morgen entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob die Abstimmung im Bundesrat über das rot-grüne Zuwanderungsgesetz verfassungsgemäß abgelaufen ist. Als damals amtierender Bundesratspräsident trägt der Regierende Bürgermeister die Verantwortung für das Abstimmungsverfahren: Entscheidet Karlsruhe gegen das Zuwanderungsgesetz, muss er sich mit dem Vorwurf des Verfassungsbruchs auseinander setzen.
Es sieht nicht gut aus für Wowereit: Eigentlich hatten Experten erst für 2003 oder 2004 mit einem Urteil gerechnet. Und eigentlich schien eine Entscheidung im Sinne der Klage führenden Unionsländer angesichts der paritätischen Besetzung des Verfassungsgerichts auch unwahrscheinlich. Nun hat das Gericht aber in Rekordzeit gearbeitet, und Zeitungen berichteten von einer 5:3-Mehrheit unter den Richtern gegen das Zustandekommen des Gesetzes. Also gegen Wowereit.
„Sie brechen das Recht!“, schrie Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) Wowereit schon in der denkwürdigen Bundesratssitzung am 22. März an. Wowereit hatte die Bundesratsstimmen von Brandenburg als „Ja“ gewertet, obwohl sich der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und sein Stellvertreter Jörg Schönbohm (CDU) nicht auf eine einheitliche Stimmabgabe geeinigt hatten.
Damit verhalf Wowereit dem rot-grünen Zuwanderungsgesetz zu einer Mehrheit – eine Richtungsentscheidung, mit der Deutschland endlich anerkannte, dass es ein Einwanderungsland ist. Als zentrales rot-grünes Projekt war das aber auch ungeheuer wichtig für den nahenden Bundestagswahlkampf. Kritiker bezichtigten Wowereit anschließend sogar der Käuflichkeit. Er habe den Bundeskanzler im Kontext der Bundesratsentscheidung dazu gebracht, sich noch stärker bei der teuren Renovierung der Museumsinsel zu engagieren. Anders als viele andere politische Projekte, die Wowereit emotionslos betreibt, liegt ihm das Zuwanderungsgesetz wirklich am Herzen. Er liebt es, sich als Repräsentant einer multikulturellen Hauptstadt in einem modernen Land darzustellen.
Aber Wowereits Stimme zitterte leicht, als er die entscheidende Bundesratssitzung am 22. März eröffnete. Er wusste damals, welch hohes Risiko er eingeht. Der Bundesratsdirektor als zuständiger Beamter hatte ihm am Vortag aufgeschrieben, wie er verfassungskonform verfahren müsse. Essenz des dreiseitigen Vermerks: Bei uneinheitlicher Stimmabgabe ist das Votum ungültig. Teilnehmer eines zwei Tage vorher stattfindenden Treffen der Ostministerpräsidenten berichteten zudem, dort habe Wowereit selbst gesagt, eine uneinheitliche Stimmabgabe werde er als ungültig werten. Dem widersprechen Wowereits Sprecher. Diese mehr als ein halbes Jahr zurückliegenden Details könnten jetzt wichtig werden. Entscheidet das Verfassungsgericht nämlich gegen Wowereit, wird der Regierende sich auf das Argument zurückziehen, er habe zwar gegen die Geschäftsordnung verstoßen, jedoch nach bestem Wissen und Gewissen entschieden und die Verfassung nicht vorsätzlich gebrochen.
Unmittelbar nach dem Eklat im März konzentrierte sich der Ärger in der Öffentlichkeit auf Roland Koch, als herausgekommen war, dass sich der hessische Ministerpräsident im Bundesrat nicht spontan, sondern inszeniert echauffiert hatte. Als im Juni der Bundespräsident das Gesetz unterzeichnete, rügte Johannes Rau die Brandenburger Stolpe und Schönbohm, ließ aber Wowereit ungeschoren.
Zumindest seine konservativen Gegner werden ihn diesmal nicht so davonkommen lassen. Wowereit wird des mutwilligen Verfassungsbruchs bezichtigt werden. Rücktrittsforderungen werden folgen. Und mehr: Viele Konservative betrachten Wowereit mit ungewöhnlicher inniger Feindschaft. Für sie verdankt er sein Amt drei Regelverletzungen. Er habe die große Koalition verraten, indem er sich nicht an Absprachen hielt. Er hat seine Homosexualität im Wahlkampf offen thematisiert, was viele Konservative für unangemessen halten. Er hat den demokratischen Konsens verletzt, nicht mit der PDS zu regieren. Wowereit gilt vielen CDU-Größen als Trickser.
Sie könnten sich ab Mittwoch vom Verfassungsgericht bestätigt fühlen. Unmittelbar nach der Entscheidung vom März schimpfte der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU): „Kaltschnäuziger Verfassungsbruch!“ Der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion, Friedrich Merz, giftete gar: „Gucken Sie dem Mann doch in die Augen!“, und reaktivierte damit die Formulierung seines Parteifreunds Frank Steffel, man müsse Wowereit „nur in die Augen schauen“, um seinen „deformierten Charakter“ zu erkennen.
Entscheidet das Verfassungsgericht tatsächlich, Wowereit habe im März falsch gehandelt, muss noch mal abgestimmt werden. Eine erneute Mehrheit für das Gesetz in der jetzigen Form ist ausgeschlossen, die Mehrheitsverhältnisse sind andere – und Klaus Wowereit ist nicht mehr Bundesratspräsident.
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