In schlechter Verfassung

Klaus Wowereit übt nach der Klatsche aus Karlsruhe unverhohlen Richterschelte. Er habe beim Zuwanderungsgesetz „nach bestem Gewissen entschieden“. CDU und Grüne sprechen von Ohrfeige

von STEFAN ALBERTI

Das Urteil „wird von mir mit Respekt zur Kenntnis genommen“. Passiv, klassischer Ausdruck von Distanz, umständlicher geht es kaum. „Leideform“ heißt das in alten Grammatiken. Das passt. Knapp zwei Stunden ist die Entscheidung zum Zuwanderungsgesetz alt, als Klaus Wowereit vor die Journalisten tritt. Der Regierende Bürgermeister kommt zwar mit seinem Ich-hab-alles-im-Griff-Lächeln vor die Mikros. Doch als er Frauen die besseren Juristen nennt, weil in Karlsruhe zwei Richterinnen seine Position stützen, bricht sein Unmut in kaum verhüllter Schelte am Bundesverfassungsgericht durch. Vom angeblichen Respekt vor dem Urteil bleibt nicht viel.

Der Kameratermin vor dem Büro des Regierenden sei keine Pressekonferenz, sondern ein „Statement“, sagen Wowereits PR-Leute leise am Rande. Man will die Sache bewusst nicht hoch hängen. Ball flach halten, das ist sonst die Spezialität des SPD-Manns. Das schaffte er nach dem Rücktritt von PDS-Senator Gregor Gysi, das klappte nach dem „Nein“ des Finanzministers zu Bundeshilfen für Berlin.

Vielleicht würde Wowereit auch an diesem Mittwochmittag anders auf die Klatsche aus Karlsruhe reagieren, wäre er nicht vom Fach, hätte er nicht an der FU Jura studiert. Die Begründung, warum er als Präsident des Bundesrats anders hätte entscheiden sollen, könne er – „ich als Jurist“ – nicht nachvollziehen. Wieder verweist er auf das Minderheitsvotum der beiden Richterinnen. „Nein“, sagt er, „ich fühle mich nicht als Verfassungbrecher.“ Nach bestem Wissen und Gewissen habe er entschieden.

Unionsgrößen haben zu diesem Zeitpunkt schon im Karlsruher Gerichtssaal schadenfreudig in die Kameras gegrinst, CSU-Mann Michael Glos hat Wowereits Rücktritt gefordert. Auch der Kommentar von Berlins CDU-Fraktionschef Frank Steffels ist längst aus dem Fax gekommen – eine Enttäuschung angesichts der Gelegenheit, seinen früheren Ruf als Polterer aufzupolieren. Kürzlich hat er in seiner Fraktion zu hören bekommen, er gebe sich zu staatsmännisch. Steffel will, doch es klappt nicht. Nur abgenutzte Bilder fallen ihm ein, von einer schallenden Ohrfeige für Wowereit, von einem schwarzen Tag für Berlin.

Das Poltern macht ihm der CDU-Rechtsexperte Andreas Gram vor. Der vergleicht Wowereit wegen seiner Richterschelte mit einem pubertierenden Jungen, der eine Sechs bekommen hat und die Lehrer beschimpft.

Das ist noch ungesagt, als Wowereit sich vor seinem Büro äußert. „Frau am Klavier“ heißt das Bild, vor dem er dabei steht. Eine Szene mit Symbolwert. Wowereit gilt als einer, der auf breiter Klaviatur spielt, sie beherrscht und dadurch aufstieg, seit er als Bezirksverordneter und Stadtrat in Tempelhof begann. „Er ist halt ein Spieler, und dieses Mal ist er beim Tricksen ertappt worden“, sagt später Grünen-Fraktionschef Wolfgang Wieland.

So richtig scheint die Sache die Landespolitik aber nicht zu erschüttern. Zumindest sprachlich nicht. Auch Wieland, dem sonst so Wortgewaltigen, fällt in Einmütigkeit mit CDU-Mann Steffel nur das Bild von der Ohrfeige für Wowereit ein. Den von Steffel und FDP-Fraktionschef Martin Lindner diagnostizierten Schaden für Berlin sieht Wieland nicht. Das Urteil habe mit der Stadt und dem Amt des Regierenden Bürgermeisters nichts zu tun, das betreffe nur die Person Wowereit, und der habe eben ein paar Kratzer abbekommen.

Der rot-rote Koalitionspartner PDS hält sich bedeckt an diesem Tag, lässt allein seinen Migrationsfachmann per Fax um eine Modernisierung des Zuwanderungsgesetzes trauern. Partei- und Fraktionschef Stefan Liebich ist schon im Urlaub, werde sich von dort aus auch nicht melden, heißt es. An Fraktionssprecherin Kathie Seefeld bleibt es, Solidaritär mit Wowereit zu zeigen. „Häme ist unangebracht“, sagt sie.

Ähnlich bei der SPD. Auf einer eng beschriebene Seite erklärt ihr Fraktionsvorsitzender Michael Müller, wieso das Zuwanderungesetz kommen muss – von Wowereit ist nur am Rande die Rede. Für ein „Natürlich stehen wir voll hinter ihm“ braucht es eine Nachfrage in der Fraktionspressestelle. Das verstehe sich doch von selbst, heißt es da.

Nicht nur wegen des Staatstheaters im Bundesrat ist Wowereit heute wie gestern im Fernsehen. RTL zeigt zwei im Oktober gedrehte Folgen einer Kult-Soap mit ihm. Der Titel passt ins Bild: „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“.

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