Fürchtet euch nicht!

Am ersten Weihnachtstag vor fünfzig Jahren begann in Hamburg der offizielle Sendebetrieb des Deutschen Fernsehens. Und aller Kulturkritik zum Trotz hat dieses Medium nicht zur Gehirnerweichung geführt. Ein taz.mag aus gegebenen Anlässen – über frohe TV-Stunden und nicht minder nette Weihnachtszeiten

von STEFFEN GRIMBERG

Fernsehen ist nichts als ein Stück Innenarchitektur. Ein Stück Technik, heute serienmäßig mit Fernbedienung. Und natürlich unsere liebste Freizeitbeschäftigung – rund drei Stunden täglich im Schnitt. Doch in Wahrheit ist Fernsehen ein Gemütszustand. Einer, an dem seit fünfzig Jahren herumgenöckelt, eine Freizeitbeschäftigung, der immer noch das Potenzial zugetraut wird, den endgültigen Untergang des Abendlandes herbeizuführen.

Zum Jubiläum werden jetzt wieder die Ansprüche der Anfangszeit beschworen, als der volksaufklärerische Impetus noch aus jedem Halbsatz des Baba Hesselbach triefte. Und wird bedauert. Dass die Zeit der ganz Großen (Lembke! Kulenkampff! Friedrichs!) schon so lange vorbei ist. Seit seiner ersten Nachkriegssendestunde nehmen wird das Fernsehen also viel zu ernst.

Fernsehen ist Unterhaltung. Gerade das macht es ja so bekömmlich. Leicht konsumierbar, ein Medium ohne Anspruch auf bleibende Werte – einerseits. Andererseits aber von so viel Offenheit geprägt, dass es jedem unbenommen bleibt, das Gesehene emotional aufzuladen – oder es zu lassen. Mit Bewunderung. Freude. Dankbarkeit. Ärger. Angst. Oder eben auch mit bildungsbürgerlicher Weltuntergangsfantasie.

Dass Durchschnittszuschauer Durchschnittsinhalte von Durchschnittssendungen nach durchschnittlich fünf Minuten schon wieder vergessen, das ist keine Schande für das Medium. Sondern belegt, dass wir bis heute nicht damit klarkommen, wie Fernsehen wirklich funktioniert. Die Frage, warum so wenig von der „Tagesschau“ hängen bleibt, ist unsinnig. Besser wäre zu fragen: Warum läuft sie eigentlich immer noch?

Die Definitionsmacht über das Fernsehen liegt beim Zuschauer. Was der dann damit anfängt, bleibt notwendigerweise vieldeutig, ungenau – und entspricht damit vollkommen den Eigenschaften des Mediums.

Vielleicht ist auch das der Grund, warum uns die ARD den ersten Weihnachtstag 1952 als Fixpunkt für „Fünfzig Jahre Deutsches Fernsehen“ verordnet. Denn was die eben dreijährige Bundesrepublik (West) da zu sehen bekam, war schon zuvor in der länglichen Testphase seit November 1950 – wenn auch quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit – gelaufen. Und änderte sich auf beträchtliche Zeit nicht wesentlich. Auch im anderen Deutschland wurde die Weihnachtszeit 1952 zum TV-Ereignis: Der DDR-Rundfunk startete am 21. Dezember seine Versuchssendungen.

Aber das Datum passt. Fernsehen hat etwas Weihnachtliches. Wann immer Wirtschaftswunderkinder von dem Tag berichten, an dem der eigene Fernseher im elterlichen Wohnzimmer Einzug hielt, kommt Heimeligkeit auf, dazu riecht es ein bisschen nach Tannenbaum. Und auch heute wäre Weihnachten ohne Fernsehen undenkbar.

Der Clou: Niemand guckt wirklich „Wir warten aufs Christkind“. Aber allein die Vorstellung, dem Fest der Feste prinzipiell mit einem Griff zur Fernbedienung entkommen zu können, hat etwas sehr Tröstendes.

Zur wirklich gnadenbringenden Weihnachtszeit kam es spätestens am Abend des ersten Festtags: Die Familie dämmerte sanft vor dem unvermeidlichen Hitchcock-Spielfilm dahin, Muttern schlief bei „Der unsichtbare Dritte“ ein, glaubte sich beim Aufwachen aber in „Über den Dächern von Nizza“. Und deswegen spielte auch überall Cary Grant, der stets, irgendwie, nur eine Botschaft zu überbringen scheint: Fürchtet euch nicht! Schon gar nicht vor dem Fernseher.

STEFFEN GRIMBERG, Jahrgang 1968, Medienredakteur der taz, guckt viel zu wenig fern