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„Kein Kind kann Gott spielen“

Interview THILO KNOTT

taz: Frau Schauer, seit 1999 haben Sie das Thema Weihnachten in Form einer Krippe im Playmobil-Sortiment. Darf man mit Religion spielen?

Andrea Schauer: Warum nicht? Kinder verstehen Dinge besser, wenn sie es – im wörtlichen Sinne – begreifen können. Die Kinder haben schon früh von sich aus den Vorschlag für eine Krippe gemacht. Sie haben uns Fotos geschickt von selbst gebastelten Krippen aus schon existierenden Playmobil-Figuren. Liegt ja auch auf der Hand: Die Weihnachtsgeschichte wird in jedem Kindergarten erzählt.

Es hat doch recht lange gedauert, bis Sie dieses Thema aufgelegt haben. Warum kamen Sie damit doch so spät raus?

Die Weihnachtsgeschichte ist eine Geschichte mit einem sehr konkreten Verlauf. Das widerspricht eigentlich dem Gedanken von Playmobil. Denn wir geben das Thema, beispielsweise Piraten, vor, aber nicht, wie gespielt werden soll. Mal sind die Piraten die Böseren, mal die Besseren. Dies ist bei Jesus ja nicht unbedingt offen. Das war der Grund unserer Zurückhaltung.

Es gibt Standards beim Krippenspiel: Ochs und Esel als Zubehör zum Beispiel – klar. Aber haben Sie beispielsweise darauf geachtet, dass Maria auch bei Playmobil zwingend jünger aussehen muss als Josef?

Nein, das nicht. Wir haben uns viele Krippen vorgenommen. Wir haben uns gefragt: Was ist üblich? Wie ist die Darstellung in Büchern? Und wie können wir die Elemente auch in unsere Playmobil-Welt umsetzen?

Wie sieht Jesus denn aus?

Wir haben Jesus als ganz normales Baby gesehen. Und wir haben ein Baby als Figur – das war’s.

Es gibt also eine klassische Mannfigur, eine Frauenfigur, eine Kindfigur, eine klassische Babyfigur. Sie wollten für Jesus keine Ausnahme machen?

Die Kinder haben auch eine Babyfigur für Jesus genommen, als wir die Krippe noch gar nicht im Programm hatten.

Aber Maria ist nicht die klassische Playmobil-Frau. Sie hat ein langes Gewand an – und nicht diesen Minirock. Das hätten Sie sich wahrscheinlich nicht erlauben können?

Nein, Maria im Minirock, das ginge nicht. Wir haben das traditionell gemacht. Und immerhin gibt es Frauen mit langen Kleidern bei uns schon seit 1989. Dass Maria barfuß ist, das ist speziell für Maria gemacht worden.

Gab es Proteste à la „Die machen mit Religion Geschäft“?

Im Gegenteil. Wir haben sogar von den Kirchen Lob bekommen – wir würden einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Weihnachtsgeschichte leisten.

Und der Plastik-Jesus wurde auch einfach so hingenommen?

Na ja, Plastik-Jesus, so denken vielleicht Erwachsene, aber nicht Kinder. Für die Kinder ist Plastik wichtig, weil es ein Material ist, das sie auch in ihrer sonstigen Welt vorfinden. Plastik ist den Kindern das Natürlichste von der Welt. Also ist unser Jesus auch aus Plastik, wie alles von Playmobil. Eine Krippe in Holz oder Porzellan wäre in der Menge nicht unters Volk zu bringen. Nicht für den Preis.

Aber jetzt mal Hand aufs Herz: Sie haben das Krippen-Set nicht mit der Motivation auf den Markt gebracht, die Jugendarbeit der Kirche zu übernehmen?

Nein, das nicht. Aber für uns stellt sich doch immer die Frage, was für Themen wir aufgreifen: Panzer, Soldaten und dergleichen, was von vielen Briefschreibern auch gefordert wird? Oder machen wir eben die Weihnachtsgeschichte?

Mit Panzern würden Sie vermutlich ein besseres Geschäft machen.

Das Geschäft mit den Panzern wäre sicher großartig. Kurzfristig. Aber das wollen wir nicht. Es würde nicht zu unserer Marke passen: Wir haben eine ganz klare Einstellung zum Thema Gewalt. Wir halten Gewalt aus dem Kinderzimmer.

Ist der Revolver des Playmobil-Cowboys die äußerste Gewaltgrenze?

Wir haben noch eine alte Schiffskanone …

Nach dem 24. Dezember wird Jesus sozusagen älter. Reicht das Jesus-Baby vorerst im Sortiment? Oder müssen Sie ihn auch erwachsen werden lassen?

Momentan reicht das Jesus-Baby als Ansatz. Die Kinder sind mit dieser Jesus-Geschichte am häufigsten konfrontiert.

Was ist mit der Ostergeschichte?

Da hätten wir eher Berührungsängste.

Wegen des ganzen Zubehörs?

Jesus am Kreuz – das wäre zu hart. Das entspricht ja auch nicht unserer positiven Grundphilosophie: Jede Playmobil-Figur lächelt!

Es kann also auch keinen Tod in der Playmobil-Welt geben?

Nein.

Warum nicht?

Wir können doch den richtigen Umgang der Kinder mit dem Thema Tod nicht leisten. Das ist Aufgabe der Familie, das erfordert intensive Gespräche mit den wichtigsten Bezugspersonen der Kinder. Der Beginn, das Werden – das ist machbar für Playmobil. Nicht aber Zerfall und Tod. Das sind Grenzen, das lässt sich nicht kommerzialisieren.

Die Welt der Kinder ist mit Playmobil eine sehr heile Welt?

Ja, eine positiv orientierte Welt. Die Kinder spielen vielleicht sogar, dass jemand stirbt. Aber beim nächsten Mal ist der eben wieder dabei.

Moses mit den Zehn Geboten am Berg Sinai – wäre das eine Geschichte für Playmobil?

Das ist nicht auszuschließen. Aber: Um solch ein Thema rechtfertigen zu können, bedarf es einer großen Zahl von Kindern, die dieses Thema begreifen wollen. Wenn ein Thema aus dem religiösen Bereich auf eine bestimmte Stückzahl kommen kann, dann fangen wir an darüber nachzudenken, ob Playmobil das glaubhaft darstellen kann.

Was ist mit der Schöpfungsgeschichte, schließlich stellen Kinder ja schon im Playmobil-Alter die Frage nach dem „Woher komme ich“?

Gute Idee.

Bekomme ich jetzt Prozente?

Die Frage ist immer: Lassen sich religiöse Themen mit dem sonstigen Rollenspiel, das Playmobil ja bietet, vereinbaren. Oder ist es zu statisch. Die Geschichte darf nicht bis ins letzte Detail vorgegeben sein, darum erlauben wir uns beim Krippen-Set zum Beispiel auch Kätzchen, um es offener zu gestalten.

Wäre bei der Adam-und-Eva-Geschichte Nacktheit ein Problem?

Bis dato sind unsere Playmobil-Figuren natürlich nicht nackt. Das könnte ein Problem sein. Sitzen, stehen, liegen – das muss eine Playmobil-Figur können. Und da bringen Sie keine Hüfte rein. Und wo keine Hüfte, da ist es sicherlich auch schwierig, eine nackte, junge Person darzustellen.

Gewalt ist das eine Tabu. Würde Playmobil Sexualität thematisieren, hätten Sie einen handfesten Skandal.

Heute und jetzt – ja, das denke ich. Vermutlich, weil Sexualität die Kinder im Playmobil-Alter überfordern würde.

Letzter Vorschlag aus der Religion: Wann kommt der Playmobil-Gott?

Das ist ein absolutes Tabu.

Aber Gott wäre im Spiel optimal: Wenn sich das Kind nicht entscheiden kann, ob jetzt beispielsweise Indianer oder Cowboys gewinnen sollen, dann könnten die Kinder den Playmobil-Gott einschweben lassen und die Veranwortung für die Entscheidung an ihn abgeben.

Das ist natürlich ein Trugschluss. Er bleibt ja der verlängerte Arm des Kindes. Das wäre auch vermessen, wenn man das anbieten würde – denn: Kein Kind kann Gott spielen.

Ihr religiöses Sortiment ist auf das Christentum fixiert: Wann probieren Sie, zum Beispiel mit Mohammed und seinem Himmelspferd al-Barak, andere Religionen aus?

Eine Produktion lohnt sich erst ab einer bestimmten Stückzahl. Da Europa unser Schwerpunkt ist, kommt dieses Thema nicht nur aus diesem Grund nicht in Frage.

Wie viele Mohammed-Packungen müssten Sie verkaufen?

Eine Stückzahl von 60.000.

Wie viele Krippen verkaufen Sie?

Weit über 60.000.

Andere Religionen wären also unrentabel.

Ja, das hat keine Priorität für uns.

Warum sehen Playmobil-Figuren eigentlich alle gleich aus?

Der lächelnde Mund und die Augen sind immer gleich. Die Kinder können alles übertragen. Das ist das unverkennbare Markenzeichen. Kinder brauchen das nicht konkret – nach dem Motto: Wenn Freude, dann lachen; wenn böse, dann grimmig schauen. Kinder denken die Gemütszustände in die Figuren hinein.

Was ist die Grundregel für ein Spielzeug?

Es muss Kindern Ausdrucksmöglichkeit sein für das, was in ihren Köpfen vorgeht.

Das bestverkaufte Motiv?

Die Ritterburg und das Piratenschiff – weil sie am meisten Abenteuer versprechen.

Playmobil ist also immer noch eine Jungs-Marke?

Ja, etwa zwei Drittel Jungs, ein Drittel Mädchen. Allerdings holen die Mädchen auf.

Ihr größter Flop? Der Henker?

Nein, der Henker, der zur mittelalterlichen Spielwelt gehörte, lief gut. Das futuristische Thema „Space“ kam dagegen nicht so gut an.

Florian Illies hat über seine „Generation Golf“ gesagt: „Playmobil ist sicherlich das Prägendste, was unserer Generation passiert ist.“ Schmeichelt Ihnen das?

Ja, damit schmücken wir uns auch gern. In der Badewanne liegend mit dem Playmobil-Piratenschiff, alles ist selig, alles ist gut – und gleich kommt „Wetten, dass … ?“ mit einer Tüte Flips. Das ist das Bild, das ich auch vor mir habe von Kindern in den 80er-Jahren.

Waren die 80er-Jahre auch für die Firma so selig?

Playmobil war das erste Spielsystem, das sich die Kinder selbst erobert haben. Die Erwachsenen haben sich immer gefragt: Was macht mein Kind da? Den Eltern war es nicht nachvollziehbar, was die Kinder spielten. Bei Lego ist das Ergebnis immer zu sehen, bei Playmobil findet das Spiel im Kopf statt. Wir hatten es einfach, weil die Kinder Playmobil durchgesetzt haben. Und jetzt haben wir Rückenwind: Die erste Playmobil-Generation ist jetzt die Elterngeneration. Und denen brauchen wir nichts mehr erklären. Zwischen den Vätern und den Kindern herrscht Einigkeit.

Ist Jesus ein Kassenschlager – oder muss er sich den Piraten geschlagen geben?

Sicherlich verdienen wir mit den Piraten deutlich mehr. Aber Jesus in der Krippe verkauft sich auch nicht schlecht.

Auch weil Jesus nur im Dezember gefragt ist?

Ach, im Sommer wird das Jesus-Baby auch in das normale Spiel integriert. Kein Problem! Oder Maria – die fährt dann eben im Polizeiauto durch die Playmobil-Welt.

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