Polizei flext auf eigene Kosten: Atomkraftgegner wie entfesselt
Das Landgericht Schleswig entscheidet: Castor-Aktivisten müssen nicht dafür zahlen, dass Polizisten sie gegen deren Willen vom Bahngleis flexen.
SCHLESWIG taz | Die beiden Aktivisten hatten sich an eine Bahnschiene in Mecklenburg-Vorpommern gekettet, um einen Castor-Transport aufzuhalten. Techniker der Polizei schnitten die Frau aus Niedersachsen und den Mann aus Nordrhein-Westfalen vom Gleis und schickten den unfreiwillig Befreiten die Rechnung für ihre Rettung.
Fast auf den Tag genau drei Jahre nach dem vorweihnachtlichten Einsatz entschied das Verwaltungsgericht in Schleswig: Die Gebührenbescheide waren rechtswidrig, die beiden müssen die verlangten 8.400 Euro nicht zahlen. Rechtliche Grundlage ist nicht etwa die Demonstrationsfreiheit, sondern das Polizeigesetz, das nicht auflistet, wie hoch die Gebühr für einzelne Leistungen der Beamten ist.
Es dauerte nur eine Viertelstunde, bis Richterin Karin Bussert das Urteil verkündete. Überrascht waren weder der Hamburger Rechtsanwalt Dieter Magsam, der die beiden Aktivisten vertrat, noch der Jurist der zuständigen Bundespolizei-Verwaltung in Bad Bramstedt, Eckart Niebell-Röschmann.
Denn in den vergangenen Jahren hatten mehrfach Gerichte entsprechend entschieden – zum ersten Mal in einem Fall, der zwei Surfer betraf. Sie hatten sich bei hohem Wellengang aufs Meer gewagt, mussten gerettet werden und erhielten anschließend eine Rechnung, die sie nicht zahlen wollten. Sie erhielten Recht, und seither fällt es auch Demonstranten leichter, Folgekosten abzuwehren: „Die Behörden machen ihren Job, ihre Arbeit wird ohnehin aus Steuern finanziert, warum also soll eine Tätigkeit extra bezahlt werden?“, fasste Magsam in der Prozesspause die Argumentation zusammen.
Wer darf Versammlungen beenden?
Er hätte gern eine andere Frage besprochen: Nämlich ob Polizeibeamte, die aus einem anderem Bundesland als Verstärkung gerufen wurden, überhaupt befugt sind, eine Demonstration aufzulösen. Denn immerhin sei nicht die Polizei, sondern letztendlich örtliche Bürgermeister oder Landräte zuständig, so der Fachanwalt. „Und der Bürgermeister in Lubmin war vermutlich froh, dass da einige Leute auf den Gleisen standen.“
Wären die Beamten – im konkreten Falle agierten Polizisten aus Nordrhein-Westfalen auf der Bahnschiene in Mecklenburg – nicht berechtigt, die Versammlung zu beenden, wäre der Gebührenbescheid ohnehin nichtig. „Sicher hoch spannend, aber nicht von Belang“, befand Richterin Bussert knapp.
Denn da die Rechnung wegen der fehlenden Gebührenordnung ungültig sei, spielten ihrer Meinung nach weitere Argumente keine Rolle. Sie schlug zunächst einen Vergleich vor, den aber beide Seiten ablehnten. Besonders Niebell-Röschmann wollte eine Entscheidung. Denn immerhin behandeln andere Gerichte ähnliche Fälle, teilweise sind auch höhere Instanzen befasst – jedes einzelne Urteil gibt ein Steinchen im rechtlichen Mosaik.
Die Bundespolizei hat noch die Möglichkeit, in Berufung zu gehen. Dies werde mit den vorgesetzten Behörden beraten und erwogen, sagte Niebell-Röschmann. Der einfachste Weg, um künftig Klarheit zu schaffen, wäre eine Gebührenordnung der Polizei, ähnlich wie sie örtliche Feuerwehren aufstellen, etwa um sich ein Ausrücken nach falschem Alarm bezahlen zu lassen. Ob und wann so eine Gebührenordnung kommt, mochte der Jurist nicht sagen: Alle Aussagen zu dem Thema wären „reine Spekulation“.
Leser*innenkommentare
Ulla Frosch
Gast
Ich finde, die Castoren werden gleichmässig auf Standorte direkt neben Polizeikasernen verteilt. Das reduziert die Bewachungskosten auf Dauer erheblich. Die Bullen haben's immer warm und blicken in eine gesicherte strahlende Zukunft.
Demokrat
Die erste Antwort ohne den Fragesteller zu beleidigen.
Danke
774 (Profil gelöscht)
Gast
Das gilt dann wohl auch für das Pfefferspray, das man sich weiter kostenlos in die Augen sprühen lassen darf.
Demokrat
Mein Kind braucht eh keine gute Kita. Da kann das Geld auch so ausgegeben werden.
Vollgut2000
@Demokrat Ach, die arme Kita. Haben Sie überhaupt Kinder? Außerdem fällt die gute Kita flach, weil wir den Kastor bezahlen und die ganze Endlagerungslüge ebenfalls. Da sollte erst recht das Verursacher Prinzip gelten. Dann wäre der Preis für Atomstrom endlich mal auf jeder Rechnung zu finden. Offen für alle.
Demokrat
Zur Frage: Ja. Darum ärgere ich mich.
Ich bin auch gegen Atomstrom. Aber die Sache hier ist halt so, dass der R-Abfall da ist. Dieser muss transportiert werden (oder sollen wir anderen Völkern den Dreck exportieren).
Dies in eine sicheren Weise zu tun muss das Ziel sein. Eine zusätzliche Gefährdung durch Schottern oder Ähnliches ist einfach nur gefährlich.
Was soll man Ihrer Meinung nach mit dem R-Abfall denn machen(dass er da ist ja schlimm, aber er ist nun mal da)?
Lösung?
Irgendwo stehen lassen? Verklappen?
cosmopol
Gast
Haben Sie nicht noch einen netten, kühlen Keller anzubieten? Nein? Dann verstehen sie vielleicht warum Menschen keine Lust auf strahlenden Müll in der Nachbarschaft haben. Oder auch auf Leukämie dank benachbarter Kraftwerke.
So lange nach wie vor neuer Müll produziert wird, ist "der muss ja wo hin" scheinheilig und die Kosten dafür in die Höhe zu treiben legitim.
Demokrat
Danke für die persönliche Beleidigung der Scheinheiligkeit.
Ein Lösungsvorschlag ist das aber nicht. Er ist da, wo soll er hin? Habe bis heute noch keine Antwort erhalten.
Kosten sind eine Sache, die Gefährdung der Sicherheit ist eine andere Sache. Ist auch irgendwie scheinheilig.
Max
Gast
Lieber Demokrat,
das ist nicht besonders weitsichtig, was Sie von sich geben. Gerade dieses Menschen, die die Gleise besetzten, die sich anketteten, die blockierten, haben dem Widerstand gegen die Atompolitik Ausdruck verliehen und ihn aus den grummeligen Wohnstuben auf die Schiene/Straße und die politische Bühne gebracht. Und damit haben sie auch zum Ende der Atomkraft in Deutschland und zum Ende der Atommüllpoduktion wesentlich beigetragen und allen Steuerzahlern weitere wahnwitzige Kosten gespart, auch für Ihre Kita.
Ihr: Ich bin auch gegen Atomkraft, aber der Protestdarf nichts kosten ist einfach gedanklich sehr kurz gesprungen. Auch die Kosten der Polizeieinsätze sollten gerade hoch sein, um die Bereitschaft zu immer neuen solcher Einsätze, also zur Produktion von immer mehr strahlendem Müll, zu senken. Hat geklappt.
Dhimitry
@Demokrat Es wird zur Zeit nach einem "passenden" Endlager gesucht. Bis dahin sollten die Abfälle dort gelagert werden, wo sie anfallen. Transporte sind z.Z. überflüssig.
Demokrat
Zahlen wir alles. Kein Problem.
cosmopol
Gast
@Demokrat Zahlste ohnehin. Und jetzt?
Du+Ich
Gast
Am besten noch den Demonstranten vorm Wasserwerfer die Wasserechnung schicken.
PezzeyRaus
Gast
@Du+Ich Umgekehrt könnten die Demonstanten die Polizei verklagen, wenn sie hartes Wasser verwendet!
Vollgut2000
@Du+Ich Gute Idee. Auf die Weise könnte man das Demonstrationsrecht "relativieren".
johnny
Gast
Kriegen die Sabboteure dann wenigstens nie Anzeige wegen schwerem Eingriff in den schienenverkehr? Surfer sollten wohl nur gerettet werden, wenn sie eine "wenn ich mich vorsätzlich in Gefahr begebe, zahle ich die Rettung"Karte gelöst haben.
Demokrat
So ist das halt. Ich verstehe das auch nicht.
Es ist schon paradox. Das Ziel der Demonstranten ist doch wohl der Schutz vor dem bösen Atom. Es wird aber aktiv die Sicherheit (in dem Fall die Transportsicherheit) gefährdet.
Perfide
cosmopol
Gast
@Demokrat Ja... diese Unsicherheit durch Verzögerung der Fahrt ... schon extrem gefährlich. Der unbeschäftigten Lokführerin könnte beim Kreuzworträtsel lösen noch der Stift ausrutschen.
Demokrat
@cosmopol Nicht ganz richtig. Beim Anketten ist das korrekt, dass es nur eine Verzögerung gibt. Beim Schottern ist die Gleissicherheit gefährdet, was zum einer Entgleisung führen kann. Wenn diese unbemerkt bleibt ist dies wohl beim Castor ein geringes Risiko (was aber wohl in Kauf genommen wird durch die Durchführenden). Im normalen Bahnverkehr ist dies aber ein Risiko. Ich finde es daher schade, dass Menschen wegen solchen Aktionen einer Gefährdung ausgesetzt sind.
Max
Gast
@Demokrat Das Schottern ist als Widerstandaktion vorher offen angekündigt worden und fand unter massiver Polizeibeobachtung statt, wenn überhaupt. Dennoch wurden alle Gleisabschnitte ständig nopch einmal nach geschotterten Stellen untersucht, bevor der Zug kam. Tatsächliche Gefahr: Null.