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Empörung über den GesundheitsministerKrebskiller Jens Spahn

Hanna Voß
Kommentar von Hanna Voß

Jens Spahn sagt, mit dem Kampf gegen Krebs könne jeder selbst beginnen. Weniger rauchen, mehr Sonnencreme. Betroffene sind entsetzt.

Groß, größer, spahngroß: Aussagen müssen knallen, am besten ohne fachliche Details Foto: dpa

J ens Spahn ist kein Mann der kleinen Worte. Je mehr es knallt, desto größer scheint er sich zu fühlen. Einst sagte er, dass Frauen die „Pille danach“ nicht „wie Smarties“ einwerfen sollten. Auch in seiner Funktion als Gesundheitsminister, in der es zu sensiblen Themen sensible Worte zu finden gälte, hat Spahn diesen Zug nicht abgelegt. Er will Sachen raushauen. Das hat er nun auch zum Weltkrebstag getan. Und überall um ihn herum gehen die Krebsforscher*innen auf Habachtstellung.

Es fing an mit einem Interview in der Rheinischen Post am vergangenen Freitag und fand seinen Höhepunkt am Montag mit einem Tweet. Der Rheinischen Post sagte Spahn, dass er gute Chancen sehe, Krebs könne in bis zu 20 Jahren besiegt sein. Das sagte Spahn, der Politikwissenschaftler. Leute vom Fach sahen das anders.

Aber Spahn ist niemand, der Äußerungen revidiert, wenn Menschen, die sich auskennen, sie falsch finden. So sagte etwa der Leiter des Comprehensive Cancer Center der Berliner Charité, Ulrich Keilholz, den Zeitungen der Funke Mediengruppe über Spahns Behauptung: „Das ist eine sehr allgemeine Hoffnung, die so einfach nicht funktioniert“. Bereits in den 1960er-Jahren habe es dieses 20-Jahre-Versprechen in den USA gegeben und auch danach immer mal wieder. Das sei jedoch stets „eher politisch motiviert als wissenschaftlich fundiert“ gewesen.

Spahn aber bleibt sich treu und betont: Wenn er den Krebs nicht besiegen könne, dann wolle er ihn zumindest „beherrschen“. Er setzt sogar noch einen drauf und schreibt am Weltkrebstag wie ein hochmotivierter Lebenscoach auf Twitter: „Jeder kann seinen persönlichen Kampf gegen Krebs heute beginnen. Wie? So: Nicht (mehr) rauchen, sich mehr bewegen, gesund ernähren und die Haut vor UV-Strahlung schützen (Sonnencreme)!“

Krebs ist vielfältiger

Während Spahn also wie jemand klingt, der sich mit Problemen wie „Endlich reinere Haut!!! Nur wie???“ beschäftigt, ist auf Twitter nicht nur der Spott groß, sondern auch der Schmerz. Ein Nutzer schreibt „- hab noch nie geraucht – laufe jeden Tag mind. eine Stunde – ernähre mich ausgewogen und trotzdem hab ich Leukämie. Irgendwas mach ich wohl falsch.“ Ein anderer: „Der erste Hautkrebs war mit 13 Jahren da, als damaliger Leistungssportler mit gesunder Ernährung und wenig Sonne.“ Und eine Nutzerin: „Dann hätte ich also weder Chemo- noch Radio- noch Brachytherapie gebraucht und auch keine Operation?“

Andere Twitter-User*innen legen Spahn nahe, doch mal eine Kinderkrebsstation zu besuchen. Noch hat Jens Spahn anscheinend keine Worte gefunden, die spahngroß genug wären, um darauf zu reagieren.

Kein Expertenwissen ist erforderlich, um zu sehen, dass die Ursachen für Krebs so vielfältig wie unvorhersehbar sind. Warum sonst kann jemand wie Helmut Schmidt 40 Zigaretten am Tag rauchen und trotzdem 96 Jahre alt werden, ohne je an Lungenkrebs erkrankt zu sein, während Tausende Nichtraucher*innen an dieser Krankheit sterben? Krebs wird durch UV-Strahlen, durch Rauchen, Schadstoffe, Alkohol, Fleisch sowie genetisch ausgelöst – und durch Zufall. Solange sich unsere Zellen weiter teilen und wir darüber keine Kontrolle haben, ist auch diese Krankheit nicht zu besiegen.

Dutzende Arten von Leukämie

Kratzt man mal den überheblichen Anstrich, jenen unsensibel-dozierenden Ton von Spahns Aussage, dann ist sicherlich etwas Wahres dran. Klar ist es grundsätzlich besser, nicht zu rauchen, sich gesund zu ernähren, Sport zu treiben und sich nicht in die pralle Sonne zu knallen. Anzunehmen ist, dass es auch besser wäre, ein Tempolimit einzuführen und keine Autos zu produzieren, die mehr Abgase ausstoßen, als sie dürfen.

Kratzt man mal den überheblichen Anstrich, jenen unsensibel-dozierenden Ton von Spahns Aussage, dann ist sicherlich etwas Wahres dran

Und trotzdem: Wer mehr als eine Krebsbiografie kennt, weiß, dass Spahns Vorschläge auf viele Betroffene nur höhnisch wirken können. Von Brustkrebs, Lungenkrebs und Leukämie sind den Mediziner*innen zum Teil Dutzende Arten bekannt. Einige von ihnen sind so selten, dass sie sich noch niemand erklären konnte.

Krebs ist, trotz der enormen Fortschritte in Diagnose und Therapie, “biologisch zu vielfältig“, wie der Vorsitzende des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), Michael Baumann, sagt. Deshalb glaubt auch kein informierter Mensch an einen bald bevorstehenden endgültigen Sieg über Krebs – kein informierter Mensch, aber Jens Spahn.

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Hanna Voß
Reporterin
Volontariat bei der taz, danach Redakteurin der taz am Wochenende. Lebt heute in Beirut, wo sie für die Friedrich-Ebert-Stiftung arbeitet. Kommt ursprünglich aus Dortmund.
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17 Kommentare

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  • Ob Spahn auch denkt, dass es kein HIV mehr gäbe, wenn die Menschen nicht schwul werden?

  • Na Herr Spahn, wie wäre es denn dann mal mit einem Tabak-Werbeverbot?



    Im Übrigen ist mittlerweile auch allgemein bekannt, dass Sonnencrem nicht wirklich gesund ist. Die meisten handelsüblichen Sonnenschutzprodukte schützen nicht nur unzureichend vor gesundheitsschädigenden UVA-Strahlen, sie enthalten selbst krebserregende Inhaltsstoffe wie z. B. Zinkoxid & Titandioxid. Das schmieren sich die Leute auf den Pelz und wundern sich dann, wenn sie nur noch Gesundheitsminister werden können. Zu mehr reicht es eben dann nicht mehr, Herr Spahn!



    Außerdem ist die Produktion von Vitamin D durch die UVB-Strahlen der Sonne, überlebenswichtig für den Menschen. Es ist wissenschaftlich bekannt, dass der Mangel an Vitamin D, die Ursache für viele Beschwerden und Krankheiten darstellt. Das Fehlen des wichtigen Vitamin D, soll mehrere Krebsarten auslösen. Da frage ich mich gerade, ob ich lieber ohne Sonnenschutzcreme auskomme.

    Vielleicht sollten die Werte für Vitamin D einmal an die Notwendigkeiten angepasst werden und nicht künstlich niedrig gehalten werden. Andere Europäische Länder können das schon!

  • Er wird absichtlich missverstanden. Mit gesunder Lebensweise kann man die Wahrscheinlichkeit vieler Erkrankungen minimieren (ua. Krebs), trotzdem kann man an erkranken. Deshalb auch bei sich selbst "beginnen".

    • @Klartext:

      Nein. Sie klammern sich an den gleichen Strohhalm wie Spahn. Spahn hat versprochen, dass "der Krebs" in 20 Jahren besiegt sei. Dann, dass man ihn beherrschen könne. Dann zieht er sich auf die Allgemeinplätze zurück, die sie jetzt auch als letzte Fahne hochhalten. Spahn ist ein Vollpfosten.

      • @LeSti:

        Dass Spahn dafür kritisiert wird liegt daran, dass er an die Eigenverantwortlichkeit appelliert.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...klar, 'Humor' ist nie verkehrt, nur, ich darf daran erinnern, dieser Mensch ist 'Minister' dieses Landes, steht also ganz oben, weit über uns 'normalen' Menschen, dieses Landes.



    Was sagt das aus, über uns??!

  • Und hoppla, mal wieder ein Shitstörmchen um ein selbstgebasteltes Skandälchen: Es wird sich doch wohl noch irgendwo bei Twitter, dem Medium dem Medium der aufgeblasenen Selbstreferentialität, einer finden lassen, der sich beleidigt fühlt. Echt mal taz, jetzt sind wir auf dem Boulevard...

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Wenn ich meine Abteilung für niedere Instinkte bedienen wollte, hätte ich aktuell genügend Vorlagen. Das ist für mich keine sportliche Herausforderung. Lassen wir also Andere sich daran abarbeiten.

    Lieber schließe ich mich humorvollen Kommentaren wie dem von Rainer B. an, der auf das Wesentliche hinweist: wieviel Inkompetenz verträgt ein Ministeramt? Die Superlative gehen bereits aus. Mehr als 'Peter-Prinzip' gibt es nicht.

    Einen kann ich mir dann doch nicht verkneifen: in seinem Jahresrückblick 2018 bezog sich Urban Priol, mein mainfränkischer Freund, auf eine Passage in einem taz-Artikel über Spahn. Da war wohl vom "Charme einer Moorleiche" die Rede.

    Ich leiste hier bei allen Moorleichen reuige Abbitte. ;-)

  • Also - im Prinzip kann eine gesunde Lebensweise durchaus eine Krebserkrankung unwahrscheinlicher machen, weil sie das körpereigene Immunsystem intakt hält. Das kann so sein, aber das muss durchaus nicht immer so sein, denn genetische Anlagen und Umweltfaktoren etc. machen mitunter einen Strich durch diese Rechnung

    Der Jens ist da ein Stück weit falsch verstanden worden. Was er sagen wollte war doch eigentlich folgendes: Kinder, Ihr könnt zwar den Krebs besiegen, aber ihr könnt nicht verhindern, dass solche Laienspieler wie ich in einer virtuellen GroKo zum Gesundheitsminister ernannt werden. Wo er recht hat, hat er recht - oder? (;-))

  • Diese Spahn-Aussage ist einfach nur abgrundtief dumm. Da wünsche ich mir beinahe schon, dass Frau Nahles eine ihrer früheren Aussagen umsetzt und diesem CDU-Mann eins "auf die Fresse" gibt ;-)

  • 9G
    99140 (Profil gelöscht)

    Das Erstaunliche an Spahn, v.d.Leyen, Seehofer, Scheuer etc ist...ihre Inkompetenz, ihre Ignoranz und ihre Reputation sind diesen Leuten und der gesamten Bundesregierung nicht einmal peinlich.



    Wer dermassen abgehoben seine ganz persönlichen Defizite öffentlichkeitswirksam auslebt und trotzdem von Millionen Bundesbürgern mit einem Mandat betraut wird, der denkt wohl auch nicht darüber nach, ob man solch einfältige Wähler in seinem Wirken priorisieren soll.



    Dieses Land ist eine Farce.

  • Senza Parole, das passiert nicht oft, aber hier muss ich zustimmen.

  • Das Problem ist das solche Menschen mit keinerlei Fach- und Menschenkenntnis an den politischen Schalthebeln sitzen....

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @F.E.:

      Dies ist nur ein Teil der Wahrheit.

      Leute wie Spahn kommen - trotz fachlicher Defizite, vielleicht sogar wegen dieser - genau dorthin, weil ihre Parteien nach einem geltenden Wahlrecht gewählt werden. Und anschließend bestimmen die 'erfolgreichen' Parteien dann, wer Ministerdarsteller werden darf.

      Deshalb empfehle ich, neben der Minister- und Parteienschelte die Wählerschelte nicht auszulassen.

      Leider kann man sich auf den alten Satz "Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber" auch nicht (mehr?) verlassen ...

  • Sorry, aber der Typ ist einfach nur doof-dumm. Das solche Menschen in der Politik etwas werden, spricht nicht für die vorherrschende Politik.

    • 6G
      64984 (Profil gelöscht)
      @Senza Parole:

      Es spricht auch nicht für die Menschen, die solche Politiker wählen.



      Und auch nicht für das System, in dem solche Politiker nach oben kommen.