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zwischen den rillenGelb regiert die Welt

Schon Newtons drittes Gesetz der Mechanik besagt, dass jede actio auch eine reactio kennt. Während Streaming über die bekannten Portale also den Musikmarkt inzwischen fest im Griff hat, verzeichnet auch der Vinyl-Markt die besten Verkaufserlöse seit den Achtzigern. Diese Entwicklung kennt viele Gründe, geschicktes Marketing, Abkehr von der Ramschware CD und die Lust an „handfesten“ Medien sind nur drei. Ein häufig vernachlässigter Aspekt dabei ist Cover-Art. Nimmt sie doch selbstverständlich teil am ganzen popmusikalischen Produkt; jedoch beim Streaming von Musik hat sie – wenn überhaupt – nur noch eine Nebenrolle. Dabei sprechen Cover mit uns und zu uns, tragen uns fort, regen unsere Fantasie an.

Das vermag auch das Cover von „Take Me With You“, dem neuen Album des New Yorker Produzenten Anthony Naples. Vollständig in leuchtendem Gelb und Schwarz gehalten, in einfacher Grafik, grobkörnig, ist es nicht bloß Augenfang, sondern Wegweiser in die spacigen Vorstellungswelten des New Yorker Houseproduzenten. Während links Sternbilder wie Widder und Perseus dargestellt sind und die rechte Hälfte im Piktogramm-Stil eine Entführung durch ein UFO andeutet – beides getrennt durch den längs gestellten Namen des Künstlers –, fragt man sich, ob der Grafiker beim Kurs für Albumkunst überhaupt aufgepasst hat. Nahezu alle Symbole sind am falschen Ort. Wer Zufall vermutet, liegt daneben, denn das Cover ist nicht für den Plattenmarkt gedacht gewesen, sondern dem Inlay einer Kassette nachempfunden. Naples vertickt es auch als Tape.

Soundtrack für die Heimreise

Das macht insofern Sinn, als „Take Me With You“ eigentlich als Mixtape in klassischer und Oldschool-Tradition gedacht war und kein Album hätte werden sollen. So wie Jungen und Mädchen in den Achtzigern ihren Freunden und Angebeteten Musik aus dem Radio oder anderswo Songs zusammenspulten, wollte Naples eine in Chrom gefasste Aufstellung der Lieblingsmusik herstellen. Irgendwann im Kompilationsprozess verwarf er diese Idee; der künstlerische Enthusiasmus brach sich Bahn. Aus einer kuratierten Playlist wurde doch ein Album und damit das zweite nach dem Debüt „Body Pill“ (2015). Fans des US-Houseproduzenten werden jedoch überrascht. Bis dato konnte sich Naples vor allen Dingen einen Namen machen durch zielgerichtet programmierte Tracks, die in Nachfolge des Detroiter Technoproduzenten Anthony „Shake“ Shakir skelettierte Drumsequenzen mit organischen Disco-Fragmenten versetzten. Im Mittelpunkt stand meist ein Loop, der mit Snare- und Hi-Hat-Sounds das Gerüst der Tanzflächen-Smasher bildete und von da aus sich durch Samples der House-Geschichte arbeitete. Seinen ersten Hit verzeichnete er 2013 mit „Mad Disrespect“, einem Sommersoundtrack, der entgegen dem Titel erheblichen Respekt in der Szene erhielt.

Im selben Jahr veröffentlichte Naples beim Londoner Label The Trilogy Tapes die EP „El Portal“, die den Peakhour-Eindruck des Debüts revidierte und Elemente aus Ambient und Noise verband, um eine Erzählung anzusteuern, die sich nicht mit den nächtlichen Tanzereignissen vereinbaren ließ. Inzwischen hat Naples weitere straighte Dancefloor-Tracks, aber auch weitere Weirdostücke veröffentlicht, beides ziemlich toll. Auch „Take Me With You“ setzt beim Atmosphärischen an: Die Auseinandersetzung mit Kosmischer Musik und Krautrock zielt auf kontemplative Momente nach dem Club; entstanden ist so ein Album, das als Soundtrack für die Heimreise prädestiniert ist. Schon der Auftakt „Alto“ wartet mit jenen Sounds auf, die in Nachfolge von Jean-Michel Jarre spacey genannt werden, obgleich kein Quasar dieses Universums so klingen mag. Synthesizer, verhuscht oder präsent, lassen die HörerInnen abheben und leiten über zu „Goodness“.

Ein Track, der die Behauptung, dass hier keine Dancemusic verarbeitet wurde, scheinbar beiseitewischt; doch tanzbare Momente sind hier als Echos der letzten Nacht zu lesen, als jene Fragmente, die sich tief im Gedächtnis der Feiernden verbarrikadieren. Das leichte Fußwippen ist derweil nichts anderes als bloßer Reizüberschuss, wie „Take Me With You“ immer wieder auf Länge von zwölf Tracks beweist. Lamentierende und zugleich joviale Sample-Loops folgen Siebziger-Moog-Arpeggios, verhallte Flächen werden immer wieder durchkreuzt von Beats, die swingen, bloß nicht kicken. Musik, um sich entführen zu lassen, nun mal – wie das Cover schon mit Erstkontakt verspricht. Lars Fleischmann

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