zwischen den rillen: Die vielen Facetten des Goldes
Interessant, was das Qualitätslabel Drag City aus Chicago da über die neueste Veröffentlichung zweier Underground-Helden schreibt: „Ty Segall und White Fence mal wieder – aber hier machen nicht zwei gemeinsame Sache – es gibt nur ein Ty Segall und White Fence, sie sind eins geworden.“ Wenn man so will, wohnt man also einer Symbiose des Garagerockers Ty Segall mit seinem Kumpel Tim Presley – alias White Fence – bei; ihr programmatisch „Joy“ betiteltes zweites gemeinsames Album – das erste war „Hair“ (2012) – ist ein Amalgam der beiden kalifornischen Musiker.
Ihre Verschmelzung geht so weit, dass sie nicht darüber informieren, wer welches Instrument bedient und wessen Stimme gerade im Vordergrund steht. „All Songs written and performed by Ty Segall and White Fence“, das genügt ja auch, hier macht jeder alles, und sie singen ohnehin meistens im Chor. Nicht im Duett, aber gern chromatisch, ihre mehrfach geloopten und übereinander geschachtelten Stimmen klingen weird und choral, und sie werden von sonnengeschmeichelten Melodien gestützt.
Gestichel mit Gitarren
Die Arrangements auf „Joy“ surfen auf alten Brettern, ihre Segel sind aber nigelnagelneu. Beinahe klassische Glamrock-Vignetten mit voluminösen Gitarrenplateaus und Engelsgesängen werden konterkariert mit aufsehenerregenden Breaks und Sounds, die an wild gewordene Kraniche erinnern (das Saxofon im Interlude „Rock Flute“), oder deren nervige Gitarrensticheleien wie eine Reminiszenz an das gute alte Modem klingt, das beharrlich versucht, eine Verbindung zum Internet aufzubauen („Tommy’s Place“).
Im Auftaktsong „Beginning“ kommen ihre geloopten Kopfstimmen aus dem Off gesaust, mehrfach insistieren sie „We see Oceans babyblue“, auf das Ritardando in Werbespot-Manier folgen zur Attacke blasende Drums. Ganze 105 Sekunden dauert das, sehr viel länger halten sich Ty Segal und Tim Presley mit kaum einem Song auf.
Kurzes Hörvergnügen
Einzig „She is Gold“ ist mit 5 Minuten und 7 Sekunden ein Ausreißer, aber es gibt Dinge, die brauchen etwas länger, bis sie gesagt sind, auch wenn der Text kaum über die Feststellung „She is Gold“ hinausgeht. Das Weitere vermitteln aneinandergereihte Miniaturen. Eingangs stolpert ein Schlagzeugsolo mit Breakbeats herein, mutiert dann zu einem geheimnisvollen tibetanischen Tempeltanz, der nach eineinhalb Minuten einsetzende delirierende Gesang wirft die Frage auf, was an der Besungenen golden ist. Weitere eineinhalb Minuten später geht der Song nahtlos und ohne Vorwarnung in sportlichen Glamrock über, mit jauchzenden Gniedelgitarren und hochgetunter Hammondorgel. Gold hat viele Facetten.
„Good Boy“ changiert zwischen entschleunigtem Schieber und aufsässigem Rock und offenbart den knarzigen Jungshumor der Einheit Ty Segall und White Fence. Sie seien die, die sie vorgäben zu sein, und führen dann aus: „He’s a good boy, she’s a good boy, we are good boys now“, um gleich danach zu behaupten: „He’s a good girl, she’s a good girl, we have always been“, was erneut in der Feststellung „We see oceans babyblue“ gipfelt. Im Sixties-Muster-Popsong – stoische Drums, dominante Bassmelodie, melancholischer Gesang – „A Nod“ geht es dagegen wieder ernst zu: „Tried to please anyone but me … Bank says I need money … Friends say I need followers … I want to believe in me.“
Das Hörvergnügen von „Joy“ währt nur kurz – das Album dauert gerade mal 31 Minuten – die Freude hallt aber lange nach. Sylvia Prahl
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