piwik no script img

zwischen den rillenSchöner Stillstand: Erasure und Commercial Breakup

Ein Strauß aus Synthiekitsch

Lesen wir das Kreuzfahrtschiff auf dem Cover des neuen Erasure-Albums doch einfach als Symbol. Es erstreckt sich, vor fliederfarbenem Hintergrund, quer über die gesamte Fläche. Das Schiff trägt den Namen „Loveboat“, denn der Begriff fasst zusammen, wofür Erasure in ihrem Innersten stehen: für Luxus, Urlaub und Abenteuer, für Liebe und Fantasie. Es funkelt, ist erhaben und groß. Die raumgreifende Ausrichtung des Schiffes deutet allerdings auch an, dass es sich nur langsam bewegt. Sehr langsam.

Die Anfänge von Erasure lassen sich weit vor der eigentlichen Bandgründung lokalisieren – bei Depeche Mode, zu deren Gründern Vince Clark einmal zählte, oder bei Yazoo. Nach deren Trennung gab Clark eine Annonce auf, und aus den Bewerbern wählte er Andy Bell zu seinem neuen Partner. Daraufhin schrieb er, wie er es schon seit Jahren tat, Woche für Woche den gleichen Song und gab ihm Andy Bell zum Singen. Bell erhob darauf seine Stimme, und Erasure waren geboren als seltenes Beispiel für einen radikalen Neuanfang bei gleichzeitig totaler Kontinuität. Bell klang ungefähr so wie Yazoo-Sängerin Alison Moyet, doch er war dünner und ein Mann. Als er vor fünfzehn Jahren, mit schwarzer Netzstrumpfhose bekleidet, im deutschen Fernsehen mit dem Hit „Sometimes“ auftrat, signalisierte er dem Publikum, dass es sich bei Erasure um ein sehr spezielles Popmodell handelte.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Erasure haben sich nicht geändert – und wenn sie einem in den letzten Jahren nicht aufgefallen sind, dann nur, weil man ihnen keine Beachtung geschenkt hat. Angesichts ihrer neuen Platte könnte man vielleicht anmerken, dass Vince Clark neuerdings gern auch mal in die Saiten akustischer Gitarren schlägt, doch hat es damit keine tiefere Bewandtnis und ist auch nicht als Zeichen für einen musikalischen Kurswechsel zu verstehen. So viel ist festzuhalten: Erasure haben sich ihre Melodieführung bewahrt, ihre analogen Sounds und ihr Themenspektrum. Sie haben also ihre überschaubare Palette an Stilmitteln eingekocht wie saure Gurken. Was zur Folge hat, dass ihr achtes Album exakt so charmant ist wie die sieben anderen davor.

Dass „Loveboat“ im Gegensatz zu seinen Vorgängern dennoch einen gewissen Hauch zeitgemäßer wirkt, liegt weniger an der Platte als an der Zeit. Zunächst wollten wir es nicht wahrhaben, doch mittlerweile können wir nicht genug davon kriegen: Die Achtzigerjahre sind zurück. Puristen denken dabei vielleicht an Scritti Politti, Prefab Sprout oder Heaven 17, wir aber reden hier über Blancmange, die Thompson Twins, Ultravox und A Flock of Seagulls – über einen Strauß aus Kitsch und Synthiepop, aus guter Laune und feierlichen Banalitäten also –, zusammengehalten mit einer endlosen Schnur verboten schiefer Metaphern.

Junge Musiker beugen sich derweil tief über ihre Plattenregale und ziehen Lehren daraus. So etwa eröffnet das Berliner Projekt Commercial Breakup sein Debütalbum „Global Player“ mit dem Stück „All I Love Is Green“, einem Song, der sich ungefähr so anhört wie Erasure auf Helium (das Gas, nicht die Band). Coverversionen von New Order („Bizarre Love Triangle“) und Tears For Fears („Suffer The Children“) setzen die vorgegebene Richtung fort, die von diversen Eigenkompositionen unterfüttert wird. Das den Vorbildern analoge Sounddesign klingt zwar mitunter etwas kalt und digital, doch mag man sich kaum darüber beklagen – fast passt es sogar, weil Sängerin Elke (siehe auch: „Paula“) dazu in höchsten Tönen zwitschert. Die Musikwelt werden weder Erasure noch Commercial Breakup verändern. Bis zur nächsten Revolution sorgen sie für Unterhaltung.HARALD PETERS

Erasure: „Loveboat“ (Mute); Commercial Breakup: „Global Player“ (Ladomat)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen