wonderful copenhagen: Sex in der Stimme
Es ist wieder so weit: Am Samstag singt Europa um die Wette. Wir machen mit: Täglich eine Spalte Vorfreude.
Er ist eher klein, wuchtig von Statur und fiele nicht weiter auf, hätte er nicht diese Stimme: Nicht nur sonor, sondern verschlafen timbriert, dunkel, raunend, dabei freundlich und munter. Er zählt beim NDR zu den letzten Sprechern, die von den Hörern auf Anhieb wiedererkannt werden: Peter Urban, 53 Jahre, Lebensgefühlachtundsechziger, Vater des Mädchens Chiara, ledig und seit 1997 der deutsche TV-Kommentator des Grand Prix Eurovision. Viele seiner Hörer fielen fast vom Glauben ab, als er dieses gänzlich indiskutable Ereignis mit seiner Stimme begleitete: In NDR-2-Kreisen hält man viel auf Abgrenzung zum Schlager. Urban schwört aber, dass seine Fans einem Missverständnis aufsaßen: „Ich fand den Grand Prix immer toll. Weil er wie Sport funktioniert. Mit Tabellen. Punkten. Ungerechten Wertungen. Und dass man am Anfang nicht weiß, wie es endet.“
Aufgewachsen ist der Anglist – der über die Sprache in der Rockmusik promovierte – mit Klassik, angefreundet hat er sich zunächst mit Skiffle und Dixieland, also mit gymnasialer Musik, deren Stile für Lockerheit und eine gewisse Distanz zu den ordinäreren Musikstilen wie Pop leben. Derlei Dünkel hat Urban schnell abgelegt, mochte die Stones und die Beatles, mag Elton John und Udo Jürgens, kennt sich aber mittlerweile wie kaum ein anderer deutscher Musikjournalist in allen Stilen aus. Dass die Wahl seitens des NDR auf ihn und nicht auf eine der Schlagerstimmen (Jan Hofer, Uwe Hübner) fiel, hat mit dem Willen des Senders zu tun, sich mit dem Poppublikum in Sachen Grand Prix besser zu stellen: Ahnungslose Dazwischensprecher wie Jan Hofer oder Max Schautzer hatten keine Chance. Ob Urban international moderieren würde, und zwar im Falle eines Siegs von Michelle auf der Bühne, ist offen: Er wirkt vielleicht nicht so glatt wie andere, dafür aber unverwechselbar. Irland übrigens hat vor drei Jahren seinen Grand-Prix-Kommentator Pat Kenny in eine Fernsehshow weggelobt: In Umfragen schnitt er gerade bei Jugendlichen als Langweiler ab. So einen, sagten sich die Iren, kann man dem Grand-Prix-Volk nicht mehr zumuten. JAN FEDDERSEN
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