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wohnen im alterBei Mittagsschlaf: Alarm

Städtische Wohnungsunternehmen bieten betagten Mietern Dauerüberwachung per Funkarmband an - damit alleinstehende Senioren im Notfall Hilfe bekommen. Pflegedienste halten nicht viel davon.

Die Alten kommen: 2020 wird jeder fünfte Berliner über 60 Jahre alt sein Bild: AP

Das Armband merkt alles: Ob die ältere Dame aus Wilmersdorf mal wieder in der Wohnung herumläuft oder außer Haus geht - ihre Aktivitäten werden registriert. Das graue Ding am Arm speichert den Tagesablauf der 78-Jährigen, kennt ihre Gewohnheiten. Normalerweise hält sie zum Beispiel keinen Mittagsschlaf. "Sollte sie mittags trotzdem mal schlafen oder bewegungslos sein, schlägt das Band Alarm", sagt Melanie Rosliwek-Hollering vom Programm "Sophia" (Soziale Personenbetreuung - Hilfen im Alltag). Dann gehe ein Notruf in der Zentrale in Köln ein, Mitarbeiter nähmen Kontakt zu der Dame auf und organisierten Hilfe.

Die Überwachung per Funkarmband ist ein neues Angebot der städtischen Wohnungsunternehmen Degewo und "Stadt und Land". Seit Mitte September können Mieter die Leistungen des Sophia-Programms in Anspruch nehmen. 20 haben sich bereits angemeldet.

Der Service für Ältere ist eine Reaktion der Wohnungsgesellschaften auf die demografische Entwicklung: Nach einer Prognose der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wird im Jahr 2020 ein Fünftel der Berliner im Rentenalter sein, ihr Anteil beträgt heute 15 Prozent (s. unten). "Unsere Kunden sind zunehmend Senioren", sagt der Geschäftsführer von Stadt und Land, Michael Niestroj. In manchen Anlagen sei der Durchschnittsbewohner jetzt 70 Jahre alt. Auf die Bedürfnisse der Alten müsse man sich einstellen.

"Viele Senioren haben Angst, umzufallen, und keiner bekommt es mit", sagt Rudolf Kujath, Geschäftsführer von Sophia. Das Armband gebe ihnen Sicherheit. Es schlägt nicht nur Alarm bei Bewegungslosigkeit: Alle Aktivitäten werden im zentralen Sophia-Computer gespeichert. Manche empfänden das als Eingriff ins Privatleben, sagt Sophia-Mitarbeiterin Melanie Rosliwek-Hollering. Wichtig sei deshalb, dass nicht ein Angehöriger diese Überwachung wolle, sondern der Teilnehmer selbst.

Die Johanniter-Unfall-Hilfe, der Malteser-Hilfsdienst und das Deutsche Rote Kreuz arbeiten schon länger mit ähnlichen Notrufsystemen. Der sogenannte Funkfinger ist ein Alarmknopf, den Ältere um den Hals oder um das Handgelenk tragen. Der Unterschied: Die Senioren müssen ihn selbst aktivieren.

Rüdiger Kunz, Pressesprecher des Berliner Landesverbandes des Deutschen Roten Kreuzes, ist trotzdem vom Notruf per Knopfdruck überzeugt. Automatische Hilferufe etwa bei Ohnmacht, wie Sophia sie anbietet, sieht er mit Skepsis. "Die Fehlerquote ist bei solchen Bewegungsmeldern zu hoch. Wenn lange keine Bewegung registriert wird, kann es ja auch sein, dass die Person nur schläft", sagt Kunz. Beim Roten Kreuz und beim Malteser-Hilfsdienst müssen sich die Senioren einmal täglich von sich aus melden. Erst wenn sie das nicht tun, wird der Alarm aktiviert. "Wir haben mit diesem System sehr gute Erfahrungen gemacht", sagt auch Astrid Gude vom Malteser-Hilfsdienst.

Das Konzept von Sophia haben Mitarbeiter der Universität Bamberg entwickelt. In anderen deutschen Städten wird es schon länger angewendet. Ein mobiler Pflegedienst in Bayreuth betreut seit anderthalb Jahren 30 Ältere mit Armband. Die Vorsitzende, Heike Bocan, ist zufrieden. "Die Geräte arbeiten sehr genau", sagt sie. Während der Fußballweltmeisterschaft im vergangenen Sommer hätten ihre Kunden viel vor dem Fernseher gesessen und sich wenig bewegt. Da gab es mehrfach Fehlalarm, aber das stört Bocan nicht. "Die Leute freuen sich, wenn wir kommen. Dann wissen sie, dass ihr Armband funktioniert."

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