westerwelles ultimatum: Konter in der Nachspielzeit
Das war ein Befreiungsschlag in letzter Minute. Kurz vor Beginn der Demonstration des Zentralrats der Juden vor der FDP-Zentrale in Berlin hat Guido Westerwelle gestern sein Ultimatum gegen Jürgen Möllemann losgelassen. Bis dahin schien Westerwelle alles verspielt zu haben. Als sei er, der Vorturner liberaler Lockerungsübungen, angesichts von Möllemanns brachialem Politikstil von Starrheit befallen worden und habe sich als gänzlich unfähig zur politischen Aktion erwiesen.
Kommentarvon CHRISTIAN SEMLER
Definitionsgemäß beinhaltet ein Ultimatum eine Drohung: Entweder du gibst nach oder du hast die Konsequenzen zu tragen. Westerwelles Ultimatum ist keines. Denn mit der Drohung, ein gedeihliches politisches Zusammenwirken mit dem NRW-Landesvorsitzenden sei fürderhin nicht mehr möglich, falls Karsli nicht aus der Landtagsfraktion der Liberalen in NRW entfernt würde, kann Möllemann auskommen. Denn er lebt von den großen medienwirksamen Inszenierungen, den geschickten Dolchstößen in die Rücken der Gesinnungsgenossen, dem Skandalisieren. Er hat begriffen, dass zwischen berühmt und berüchtigt die Trennungslinie verschwimmt.
In den letzten Jahren ist Möllemann noch immer auf die Füße gefallen. Aber dies wird wohl dieses eine Mal nicht laufen. Denn jetzt, das spüren nicht nur die Altvorderen der FDP, geht es um das Selbstbild der Partei. In Frage steht, ob der Antisemitismus künftig zu ihrem ideologischen Inventar zählen wird, strikt pluralistisch, versteht sich. Und ob die anvisierten 18 Prozent aus einem matten Wahlkampfscherz sich in ein blutig ernstes Manöver verwandeln werden – die liberale „Einbindung“ des rechtspopulistischen bis rechtsradikalen Wählerpotenzials.
Westerwelle ist durchaus kein standpunktloser Showmaster. Er versteht sich als neoliberales Korrektiv zu den christlichen Sozialethikern in der CDU. Anwalt des bürgerlichen Besitzindividualismus zu sein – darin stimmt Westerwelle mit dem Funktionärskader und der Klientel seiner Partei überein. Möllemann hingegen posiert als Anhänger des postideologischen Zeitalters, der sich seine Anhänger abholt, wo er sie vorfindet.
Gewiss, die FDP hat im Lauf ihrer langen Mitregierung so manchen Frontwechsel vollzogen. Aber jetzt hat Westerwelle einen Konter in der Nachspielzeit unternommen. Denn für die Art von „Pragmatismus“ nach rechts außen, wie Möllemann ihn propagiert, ist die Partei offensichtlich noch nicht reif.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen