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Chicago: Mythen und Realitäten

Der erste nichtindianische Bewohner des späteren Chicago war kein frommer Puritaner, sondern ein wilder Abenteurer. John Baptiste Point du Sable hatte einen weißen französischen Vater und eine schwarze haitianische Mutter. An der sumpfigen Mündung des Checagou-Flusses heiratete er die Tochter des Potawatomi-Häuptlings, handelte mit Fellen und brannte Schnaps. Im schwarzen Süden Chicagos trägt das Museum für afroamerikanische Geschichte heute den Namen von Du Sable. In Afrika war der Mann vermutlich nie gewesen. Dafür ist er eine Legende des amerikanischen Schmelztiegels.

Der Schmelztiegel von Chicago sieht heute eher wie eine wohlgeordnete Sushi-Platte aus. 100 ethnische Minderheiten leben in 77 neighborhoods, friedlich mit-, aber vor allem nebeneinander. Die Metropole des Mittleren Westens gilt als die am stärksten ethnisch segregierte Stadt der USA, als zweitgrößte polnische Stadt und zugleich als irische, mexikanische, ukrainische und zunehmend auch als asiatische Großstadt. Entlang der EL, der städtischen S-Bahn, kann man Weltreisen machen. Ethnic neighborhoods sind neben den Hochhäusern, Museen und Konsumtempeln zur touristischen Attraktion geworden. Die Gettos hingegen bilden Städte in der Stadt.

Während die Zahl der 900.000 caucasians, der Weißen, und der 1,01 Millionen Afroamerikaner rückläufig ist, wuchs die Spanisch sprechende Minderheit in den letzten zehn Jahren um 40 Prozent. Eine viertel Million Menschen stammt aus Asien.

Nur 50.000 Menschen in Chicago geben an, zwei oder mehr ethnische Wurzeln zu haben. Die Bewahrung und Wiederentdeckung ihrer Herkunftskulturen ist heute für viele Migranten nicht nur Heimatnostalgie, sondern ein Joker im globalen Wirtschaftspoker. In Sonntagsschulen wird Russisch, Chinesisch oder Koreanisch gepaukt. SABINE BERKING

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