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kleine freiburger freiheit

von TOM WOLF

Es war sechs Uhr in der Früh an einem Sonntagmorgen, als ich aus unruhigen Träumen aufschreckte und nur ein Ziel vor Augen sah: den ICE, der mich aus der kleinen Stadt hinausbringen würde. Eine Liebesgeschichte hatte mich in dieses Haus geführt, doch nun war alles vorbei. Die Frau, der ich mein Unglück verdankte, lag andernorts, der Grund hierfür eindeutig bei mir, und ich fand mich mit allen blanken Nervenfasern am Ende. Ich schnürte mein Bündel und zog die Wohnungstür zu. Durchs Treppenhaus hinuntergestolpert, fand ich die Haustür, drückte auf die Klinke und zog. Aber diese Tür war fest verschlossen.

Ich ging wieder treppauf und klingelte überall, doch es war wie erwähnt Sonntagmorgen, kurz nach sechs, und die Bewohner waren entweder nicht zu Hause oder nie zu Hause oder zu müde zum Aufstehen. Niemand öffnete.

Als ich mutlos erneut zur Haustür hinabschlich, entdeckte ich ein schmales Fenster zwischen dem ersten und zweiten Stock. Es war nicht verschlossen, und ich spähte hinaus: In einem Meter Entfernung krümmte sich das obere Ende einer Straßenlaterne. Die Straße lag etwa fünf Meter tiefer, still und stumm. Einige bange Sekunden zögerte ich. Dann aber raffte ich mich auf. Die Härtesten sterben früh; noch war es nicht zu spät – warum also nicht gleich?

Am haarigen Ende eines Besens, den ich am Kellereingang gefunden hatte, baumelten kurze Zeit später meine Reisetasche und mein kleiner Trompetenkoffer über dem Bürgersteig. Dumpf tönte ihr Aufprall – und der des Besens – durch die Straße. Ich atmete aus und zwängte mich durch die kleine Öffnung, verharrte in ihr einige bange Augenblicke wie ein Flughörnchen, das man in einem Schraubstock festzuhalten versuchte, um endlich in die Morgenluft hinauszuhechten, locker einen Superman-Comic nachahmend . . . – !!!

Knapp erwischte ich mit beiden Händen das oberste gebogene Ende des Laternenmastes, der unter meinem Anprall aufgeregt hin und her schwang. Diese Dinger waren nicht annähernd so stabil, wie sie sich den Anschein gaben! Nachdem sich das Gestell beruhigt hatte, hing ich flaggenartig drei Meter zwanzig über dem Boden, unschlüssig zwar, doch in Freiheit.

Jetzt einige Wochen so bleiben! Das wäre gut für die Wirbelsäule und kaum jemandem aufgefallen, wenn ich mich ruhig verhalten hätte. Doch die Arme wurden mir bereits länger bis sehr lang. In diesem Augenblick bemerkte ich eine ältere Dame, die aus einem Fenster auf der anderen Straßenseite zu mir herüberlächelte und -winkte. Ich lächelte freundlich zurück, sehr bemüht, dabei möglichst natürlich zu wirken. Das Winken konnte ich mir zum Glück verkneifen. „Seien Sie bloß vorsichtig!“, rief sie. Ich versprach’s mit leicht gedrückter Stimme und glitt am Laternenpfahl hinunter wie ein Feuerwehrmann. Kein spitzer Dorn, keine scharfe Klinge, die mich aufgeschlitzt hätte. Ich wagte es kaum zu glauben. Frisch und froh strebte ich dem Hauptbahnhof entgegen. Ich hatte es geschafft. Das war die Freiheit, die ich an diesem Freiburger Morgen meinte.

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