piwik no script img

utah und andereabgefahrene ideallinien

Ein Traumlauf

Ich war ganz schön nervös. Vorgestern, vor dem Start der Damen-Abfahrt. Diese ständige Verschieberei machte mich wahnsinnig. Erst die Übertragung des Skilangweilelaufs beruhigte mich ein wenig, und ich wurde schläfrig.

Als ich wieder aufnickte, strickte ich mir zur Ablenkung einen pressengen Rennanzug. Dann ging es endlich los. Mit der Startnummer 7,3 fegte ich auf die Piste. Wie viele Läuferinnen – und fast alle Frauen – hatte auch ich anfangs Probleme, meine Ideallinie zu halten. Doch die Anfeuerungsrufe von Michi Steinbrecher, der am Streckenrand saß und sich die Haare toupieren ließ, spornten an: „Nichts wie weg hier!“, dachte ich.

Auf einmal lief es wie geschmiert. Ich fand auch den Schnee gar nicht so aggressiv, wie die Trainer gewarnt hatten. Er blieb brav liegen und schlug nicht um sich. Gefährlicher war hingegen die Stelle, an der ich fast Rosi Mittermaier und Christian Neureuther umgefahren hätte. Saßen die beiden doch an einem Tisch mitten im Steilhang und rechneten meine Rennzeit um – wie einst bei Dalli-Dalli: „Du hast nur zwei Euro und 23 Cent Rückstand!“ „Ein Traumlauf“, krächzte ZDF-Poschi von der anderen Seite. Und tatsächlich: Im Ziel angekommen, war ich Erste, mit deutlichem Vorsprung vor Carole Montillet und Inge Meysel.

Jetzt galt es, Nerven zu bewahren. Doch alle andere Läuferinnen waren langsamer als ich, meine Mannschaftskameradin Petra Haltmayr schied aus, da sie im Starthäuschen einen Fahrfehler machte. Und Picabo Street wurde mitten im Rennen von den Funktionären gestoppt – in Wirklichkeit ist sie nämlich ein Pokemon, wie der Vorname verrät. Die dürfen bei den Olympischen Spielen höchstens in den Zuschauerraum.

„Jetzt bin ich voll von Emotionen“, jubelte Carole Montillet plötzlich und tat so, als sei sie die Schnellste gewesen. Komischerweise wurde ich gar nicht aufs Treppchen zitiert, sondern eben die emovolle Carole, Isolde Kostner und Renate Goetschl. Ich wollte schon protestieren, doch als ich sah, dass Waldi Hartmann mit fünf Ringen unter jedem Auge die Medaillen überreichte, auf die er seinen ehemaligen Schnurrbart geklebt hatte, wollte ich doch nicht mit den Geehrten tauschen. Soll doch Olympiasiegerin sein, wer will! JUTTA HEESS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen