unterm strich:
Philosoph Herbert Schnädelbach gestorben
Er saß doch noch an einem großen philosophischen Überblick über die Geschichte der Vernunft. Aber die ist nun offenbar tatsächlich nicht mehr fertig geworden, so wie es Herbert Schnädelbach mit leiser Selbstironie selbst in den frühen 90er Jahren erwartet hatte. „Immerhin ist es gut, immer ein Projekt zu haben“, hat er damals in einem philosophischen Hauptseminar gesagt. Zu der Zeit, von 1978 bis 1993, war der 1936 in Altenburg Geborene Philosophieprofessor in Hamburg mit dem Schwerpunkt Sozialphilosophie. Seine Vorlesungen im Philturm waren oft etwas Besonderes, sprühend vor Textwissen und Denkfreude. Er konnte als Hochschullehrer nicht nur die philosophische Tradition, sondern auch den Spaß am eigenen Denken vermitteln.
In der Frankfurter Schule, aus der er kam – seine Habilitation hat er noch bei Theodor W. Adorno begonnen, nach dessen Tod wurde sie von Jürgen Habermas betreut –, hatte man Kant mit Hegel und Hegel mit Marx kritisiert und schließlich Marx mit Freud verbunden, sagte er einmal; er selbst hatte sich schließlich allerdings dahingehend entwickelt, den Bogen zurückzuschlagen und Marx und Hegel zusammen wiederum mit Kant zu kritisieren: Es brauche eine Metaebene der Vernunft, als Instanz der Selbstreflexion des Verstandes. Der Absolutheitsanspruch Hegels erschien Schnädelbach als Rückschritt hinter Kants Einsicht der Endlichkeit der Vernunft. Den vernunftkritischen Impulsen aus Frankreich, die in der Zeit breit diskutiert wurden – Stichwort: Das Andere der Vernunft –, stand er dagegen skeptisch gegenüber, ließ sie aber in Seminaren gründlich rezipieren und kontrovers diskutieren. An einem Universalismus der Vernunft, selbstverständlich stets selbstkritisch und sprachpragmatisch aufgeklärt, hielt er fest. Wenn wir die Vernunft ganz herausziehen, bleibe nur die Macht als Entscheidungsinstanz übrig, sagte er einmal. 1993 ging Herbert Schnädelbach nach Berlin an die Humboldt-Universität, was nach seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit Hegel nur folgerichtig war. 2000 erschien die Summe seiner Beschäftigung mit dem berühmten Vorgänger auf dem Lehrstuhl in Berlin, „Hegels Philosophie. Kommentare zu den Hauptwerken“ in drei Bänden.
Darüber hinaus hat Herbert Schnädelbach viele Bücher geschrieben, die auch außerhalb der unmittelbar philosophischen Diskussionszusammenhänge gut lesbar sind. Zu einem Lehrbuch wurde etwa die Studie „Philosophie in Deutschland 1831–1933“ sowie der Band „Was Philosophen wissen und was man von ihnen lernen kann“. Zu seinem sechzigsten Geburtstag erschien die Festschrift „Sich im Denken orientieren“. Breit wahrgenommen wurde seine Auseinandersetzung mit dem Christentum, eine Moral sei auch ohne Gottesinstanz gut begründbar, sagte er, und die religiösen und transzendenten Fragen, die sich auch ihm stellen würde, seien mit Gott nicht beantwortbar. Am 9. November ist Herbert Schnädelbach in Hamburg gestorben. (drk)
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