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unterm strich

Die Berliner Kultursenatorin Adrienne Goehler ist nicht zu beneiden. Die neuen Verträge mit Daniel Barenboim und Sir Simon Rattle sind noch nicht unterschrieben, da droht schon wieder ein anderer Stardirigent damit, der Hauptstadt den Rücken zu kehren: Kent Nagano, seit einem Jahr Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters. Nagano wird ebenso wie sein gerade wieder in Bayreuth reüssierender Kollege Christian Thielemann von der Deutschen Oper Berlin zusammen mit Barenboim und Rattle zu den Juwelen des musikalischen Lebens in der Bundeshauptstadt gezählt, die sich gerne auch als Klassikmetropole sieht. Die aber tut sich schwer, wenn es um die Details in den Verträgen der Musikerstars geht. Da ist nicht nur von finanziellen Dingen die Rede, sondern auch von Kompetenzen, Verantwortungsbereichen und Machtfülle. Jetzt kämpft auch Nagano um eine Vorrangstellung seiner Musiker im allein schon quantitativ beachtlichen Reigen der Berliner Klangkörper mit sieben großen Konzert- und Opernorchestern.

Das Gebälk ist regennass, auf den Dielen schlängeln sich Wasserlachen. Der Sechzigjährige Detlev Haupt begutachtet das Obergeschoss des jüdischen Trauerhauses in Halle. Nun soll das Haus ab September saniert werden: Haupt ist Vorsitzender des Fördervereins „Haus des Lebens“ und will das auf Befehl der Nazis säkularisierte Gebäude in seine ursprüngliche Form zurückversetzen. Die Trauerhalle war von dem Leipziger Architekten Wilhelm Haller entworfen und 1929 eingeweiht worden.

Architekt Haller hatte im expressionistischen Baustil zinnenartige Dreiecksgiebel um das dreiflügelige Gebäude wie eine Krone angeordnet. Auffällig war auch die Farbgestaltung mit roten Klinkern und gelbem Putz. Schon damals, wie jetzt beim Jüdischen Museum, inspirierte der Davidstern die Form. Aus ihm entwickelte Haller die abstrakte Ornamentik der Fassade. Der Saal bot 200 Plätze, dazu gab es einen Aufbahrungsraum und ein Zimmer für die rituelle Reinigung der Toten. 1939 wurde aus dem Trauerhaus eine provisorische Unterkunft für Juden, die in die Vernichtungslager deportiert wurden. Auch ein „Alten- und Siechenheim“ wurde hier eingerichtet.

Der 1999 von Bürgern gegründete Förderverein ist für den Vereinsvorsitzenden Haupt „ein Stück Bringeschuld der Gesellschaft“. „Es wäre absurd, die jüdische Gemeinde ein zweites Mal zum Umbau ihrer Trauerhalle zu zwingen“, sagt Haupt. Mit der Rekonstruktion soll auch die Schau über das Judentum und die Hallenser Gemeinde erweitert werden.

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