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unterm strich

Fassaden, Fassaden, Fassaden. Mehr hat die zeitgenössische Architektur mit ihren Normbüros im Innern ihrer Gebäude nicht zu bieten. Je fader die Fassaden ausschauen, desto heiliger sind sie. Im Falle der Schweizer Botschaft ist die Fassade nicht nur Architektur, nein, sie ist Kunst. Der Künstler Helmut Federele hat nämlich die Brandmauer mit einem Betonrelief gegliedert! Und dann wagten es der Botschafter Thomas Borer-Fielding bzw. dessen Kulturattaché, an dieser Brandmauer eine temporäre Lichtinstallation des spanischen Künstlers Chema Alvargonzález anzubringen.

Skandal! Goethes Sterbeworte „Mehr Licht“ funkten zum Kanzleramt hinüber, aber nicht Gerhard Schröder war verärgert, sondern der Erbauer des neuen Trakts der Botschaft, Alpenfestung-Spezialist Roger Diener und Helmut Federle, der gleich seinen Anwalt einschaltete. Wegen Verletzung des Urheberrechts wollte der vor einem Schweizer Gericht streiten. Dazu wurden noch die ganze Architektenlobby und ausgewählte Museumsleute mobilisiert, die in einem offenen Brief ihrer Empörung über den ein paar Wochen dauernden, unheiligen Eingriff Ausdruck gaben.

Hintergrund dürfte freilich eine Kränkung sein, die Roger Diener verspürt. Immerhin ließ er verlauten, wenn dem Botschafter seine neue Fassade, pardon, sein neues Gebäude nicht gefalle, solle er es doch sagen. Jetzt wurde die umstrittene Lichtinstallation entfernt. Bei dem Streit sei es zuletzt nicht mehr um Kunst, sondern um Polemik gegangen, begründete die Galerie Artinprogress als Veranstalterin der Aktion ihre Entscheidung. Wir wünschen uns aber viel, viel mehr Polemik! Nicht gegen Lichtinstallationen, sondern gegen überschätzte Architektur.

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