piwik no script img

ulrike winkelmann über Golf Böse Menschen haben keine Glasreiniger

Der Akt des Putzens ist viel mehr als bloß Mittel zum Zweck, er zeugt von einer außerordentlichen Liebe zu den Dingen

Putzen macht Spaß. Putzen beruhigt. Es ist mir ein Rätsel, wie Leute sich zur Entspannung freiwillig vor den Fernseher setzen können, wo einen doch alles, was es dort zu sehen gibt, nur aufregt. Wenn ich gestresst bin, wenn ich mich nicht mit den Leuten in der Küche unterhalten will, marschiere ich ins Bad, greife zum ausrangierten Abwaschschwamm und zu meinem Lieblingsputzmittel und entferne die Zahnpastatropfen aus dem Waschbecken.

Ich halte das für ein Zeichen von Reife. Scheint doch die weitreichende Denunziation des Putzens (auch in dieser Zeitung) vor allem dem Zweck zu dienen, sich auch noch im Erwachsenenalter von Mami loszusagen, indem man sich von ihrem Reinlichkeitsgebot absetzt.

Wer dagegen begriffen hat, dass Putzen ein meditatives Ritual ist, wird sich dem Zauber nicht entziehen können, der entsteht, wenn der Essig sich mühelos seinen Weg durch die Kalkkruste auf dem Wasserhahn bahnt, wenn die vielen langen und kurzen Haare unter der Badewanne in der Staubsaugerdüse verschwinden – ciao, bellini! –, wenn die festgetretenen Tomaten sich unter Zuhilfenahme eines Spatels und ein bisschen Aufmerksamkeit vom Küchenfußboden lösen.

Putzen ist viel mehr als bloß Mittel zum Zweck – wobei auffällig ist, dass die Verächter des Putzens sogar diesen Zweck noch zu leugnen versuchen. Bestenfalls, geben sie an, könnten sie ihn darin erkennen, Gäste vor Ekelanfällen zu bewahren und ihnen den Aufenthalt in der Wohnung zu erleichtern. Dabei geht es um viel mehr als Sauberkeit! Wenn ich richtig informiert bin, geht es beim Fußball doch auch um mehr als das Ergebnis.

Putzen muss man gelernt haben. Ein großer Teil der Abneigung vorm Putzen rührt aus schlichter Unkenntnis. Wer nicht weiß, welches Mittel gegen welchen Schmutz hilft, lässt sich schnell frustrieren und gibt auf. Dabei gilt für das Putzen wie für alle anderen Künste und Wissenschaften, dass auch dem Anfänger Erfolgserlebnisse gegönnt sein müssen – die höheren Weihen kommen dann schon noch. Mir hat meine Mutter putzen beigebracht. Seither weiß ich, welche Treppe man feucht wischt und welche man bloß trocken abstaubt, und ich weiß, dass man mit Essigessenz in der Duschkabinenschiebetürrinne weiter kommt als mit doofen Scheuermitteln. Und ja, es macht einen Unterschied, ob man den Spiegel mit einem Baumwoll- oder mit einem Halbleinenhandtuch abtrocknet.

Nach dem Abitur war mir mit dieser Grundausbildung ein schneller Aufstieg zum Zimmermädchen im schönsten und größten Hotel von Bad Lippspringe, dem Kurhotel, beschieden. Die Zimmermädchen-Chefin äugte misstrauisch in die Badezimmer, aus denen ich so verdächtig schnell wieder auftauchte, aber sie fand nie auch nur ein einziges Schamhaar in der Wanne und sparte sich die Kontrollgänge schon am dritten Tag. Die Suite des wohl berühmtesten Kurhotelgastes in meiner Zeit dort, die beiden Zimmer von Pierre Brice, durfte ich nur deshalb nicht machen, weil da das dienstälteste Zimmermädchen Vorrang hatte, das sah ich ein. Die hatte ja auch lange auf einen Prominenten warten müssen.

Putzen ist soziale Kompetenz. Wer putzt, kommuniziert mit seiner Umwelt und macht etwas besser, macht wieder gut, was vorher nicht heil war, nimmt in die Hand, was vorher nicht wohl gelitten war. Der Akt des Putzens ist Zeugnis einer Liebe zu Dingen, und das ist entgegen einem landläufigen Vorurteil durchaus ein Hinweis auf guten Charakter. Es war Walter Benjamin, der in seinem kleinen Essay zur Sammelleidenschaft gezeigt hat, dass die Fähigkeit, Sachen zu sammeln und also zu lieben, unmittelbar mit Humanismus und Aufklärung zu tun hat. Wenn auch nur dadurch, dass er, Walter Benjamin, es war, der den Essay geschrieben hat.

Jedenfalls finde ich es völlig klar: Wer putzt, beweist, dass er einen Mehrwert an Zuneigung und Vertrauen produzieren kann. Wo man putzt, da lass dich ruhig nieder – böse Menschen haben keine Glasreiniger. Aber es geht auch darum, die Dinge aus ihrer Vernachlässigung als Dinge zu befreien. Und es geht darum, das Putzen aus seiner Vernachlässigung als kultureller Akt zu befreien.

In anderen Bereichen funktioniert das auch: So ist etwa ein Ball, der getreten wird, allein dadurch ein Fußball, und das gemeinsame Treten wird zum zivilisatorischen Schauspiel aufgewertet, zumal wenn Treter viel Geld dafür bekommen. Und alle Welt spricht darüber und kann mit Wissen über Fußball großtun.

Wie unendlich viel wichtiger ist doch aber das Putzen! Ich schlage vor, eine Interessengemeinschaft zur Würdigung des Putzens zu gründen. Gab es nicht letztes Jahr diese Riesenkampagne zum Ehrenamt?

Wenn Rita Süssmuth oder Heiner Geißler (oder wer hat da nicht noch alles Ehrenerklärungen fürs Ehrenamt abgegeben?) sich jetzt hinstellten und sagten: Ohne Putzen wäre weniger Liebe in der Welt, dann würden sie zeigen, wie ernst sie es meinen. Was für eine schöne Aktion im familienzentrierten Wahlkampf! Man könnte der SPD-Kampa anbieten, ein kleines Konzept zu schreiben, wie man Putzen als sozialdemokratisches Alleinstellungsmerkmal verkauft. „Putzen wie bei Muttern – nur mit der SPD.“ Na ja, daran wäre noch zu feilen.

Fragen zu Golf?kolumne@taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen