ulrike herrmann über Non-Profit: Ich war sein Groupie
Mit seiner Band „Bluna“ sang er sich zum Wahlsieg, als Berater redete er sich reich – bis er ausstieg
Er hätte Traumkarrieren machen können. Vorstandsvorsitzender von DaimlerChrysler oder Bundeskanzler – das wirkte bei ihm nicht anmaßend, sondern wie sein gutes Recht. Schon mit 30 Jahren war er Strippenzieher in einer Volkspartei und geschätzter Unternehmensberater.
„Du hättest alles werden können!“ Wenn man ihm das heute sagt, dann kommt nur ein „Ja“ zurück. Einfach das: ein Ja. Es ist das einzige Ja, das ich je gehört habe, das nichts transportiert. Keine Eitelkeit, keine Leidenschaft, kein Bedauern, keinen Drang zur Erklärung. Sein Ja sagt nur Ja.
„Wenn ich dein Charisma hätte!“ Manchmal denke ich es nur, manchmal sage ich es auch. Es ist sowieso egal. Denn darauf antwortet er nie. Was sollte er dazu auch sagen? Dass mein Charisma leider nicht so ausgeprägt ist? Will ich nicht hören. Dass er doch gar keines hat! Wäre falsche, verlogene Bescheidenheit. Dass ihm sein Charisma egal ist? Das ist so offensichtlich, das muss er nicht erwähnen.
Früher war das anders. Da genoss er seine Aura, seine Macht, sich Menschen gefügig zu machen. Ja, er inszenierte sein Leben so, dass er so nackt wie möglich erfahren konnte, wie er die anderen faszinierte. Zum Beispiel an der Universität.
Das Studentenparlament sollte neu gewählt werden – und wie gewohnt traten die gewohnten Grüppchen an, die schon immer enttäuscht hatten. Also gründete er seine eigene Liste, die er „Bluna“ taufte. Sie hätte genauso gut „Coca-Cola“ heißen können, aber „Bluna“ fand er schöner. Und außerdem war es unerheblich. Hauptsache, der Name drückte aus, was unmissverständlich sein sollte: dass es kein Programm gab. Oder anders: dass er das Programm war. Damit nahm er um ein Jahrzehnt die FDP vorweg, die eine sinnlose „18“ verkündet und damit meint, dass Möllemann Fallschirm springen kann.
Bei „Bluna“ war es ein einziges Popkonzert, das die Stimmen brachte. Er sang selbst, eigene Texte zu bekannten Liedern. Nichts Politisches natürlich, denn dann hätte sich ja debattieren lassen, ob es vielleicht doch die Aussagen waren, die überzeugten, und nicht sein pures Sein. Nein, er sang einfach. Irgendwie Englisch. Was, das sollte man nicht verstehen, nur sein Körper sollte wirken, da vorne auf der Bühne. Sollte Lebensfreude ausdrücken – und selbstironische Distanz. Er war das Programm, nicht das Eigentum seiner Anhänger.
Das war die Botschaft, die ihn zum einsamen Sieger dieser Wahl machte. Jeder erwartete, dass er sich nun als Asta-Vorsitzender verschleißen würde. Aber er lehnte das Amt ab, suchte lieber neue Unbekannte, die er auf sich einschwören konnte. So wurde er schließlich auch zum gefragten Unternehmensberater. Denn Firmen in der Krise – „das sind Gruppen, die sich anschweigen“. Also stellte er sich in ihr Zentrum.
Und hatte plötzlich keine Lust mehr, stieg einfach aus, war reif für eine griechische Insel. „Kannst du dir ja auch leisten!“, sagten seine Bekannten, meinten sein Vermögen und versuchten, ihren hämischen Neid zu verbergen. „Ja“, kam dann von ihm. Sein Ja, das nichts transportiert. Keinen Drang zur Erklärung. Obwohl er hätte erklären können, dass niemals das Finanzielle darüber entscheidet, wer aussteigt. Dass nur der auf Arbeit verzichtet, sich Freiheit und Freizeit gönnt, der sicher wissen kann, dass er es war, der gewählt hat. Der nicht flieht, kein Scheitern tarnt. Aussteigen kann nur, wer eingestiegen ist.
„Du klingst original wie sein Groupie“, warf mir eine Freundin einmal vor. Und sie hat Recht, aber nur in der Vergangenheitsform. Ich war sein Groupie.
Jetzt finde ich ihn langweilig. Das habe ich ihm nie gestanden, aber er würde es verstehen. Würde einfach sein „Ja“ sagen. Er würde es mir überlassen, zu entdecken, dass meine Langweile mein Problem ist. Nicht seins. Was kann er dafür, dass ich meine Erlebnisse bei der taz besprechen möchte? Das darf ich gern mit anderen tun, nicht mit ihm. Ihn langweilt das. Vielleicht hätte es ihn vor zehn Jahren als Unternehmensberater interessiert. Aber nicht heute, nicht in Griechenland. Also zwingt er mich zu seinen Themen, schiebt die Langweile zwischen uns an mich zurück – markiert, dass er mich nur langweilt, weil ich ihn langweile. Es ist die paradoxe Umkehr seines Charismas: Früher waren wir seine Anhänger, weil er entschieden hatte, dass wir ihm anhängen sollen.
Wenn sich seine Exgroupies zufällig treffen, dann besprechen wir stets, wie er auf seiner Insel lebt. Obwohl sich nichts ändert. Er ist dort mit drei Frauen gleichzeitig liiert. „Was soll er auch machen, wenn er nicht arbeitet!“, kommentiert der neidisch-hämische Bekanntenkreis.
Mit keiner der Geliebten wohnt er zusammen, aber jede weiß von jeder, muss die anderen zwei hinnehmen. Verspätet und allein hat er das Freiheitsideal der 68er verwirklicht. Fragt man ihn, ob seine Freundinnen leiden, dann kommt nur das „Ja“, das nichts transportiert. Keine Leidenschaft und kein Bedauern.
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