themenläden und andere clubs: Berlin hat jetzt auch eine Mongolen-Disco
Freiheit durch Tanzen
Es gibt in Berlin eine Russendisko, eine Jugo-Disco, eine Polen-Disco und eine ständige Rheinländer-Schlager-Vertretung. Was viele nicht wissen: Es gibt auch eine Mongolen-Disco. Schließlich leben in der Stadt derzeit genauso viele Mongolen wie Rheinländer: etwa 2.000.
Einer davon ist Otgon Gerelsukh (27). In Ulan Bator studierte er Schauspiel, anschließend arbeitete er drei Jahre im Schauspielhaus. Seine größte Rolle war der Romeo von Shakespeare – sie machte ihn berühmt. Danach spielte er in mehreren Filmen mit. Seitdem wird er von weiblichen Fans umlagert. Dazu gehören nicht nur junge Frauen ohne Blumen, sondern auch ältere mit. Eine verriet ihm: weil seine Romeo-Darstellung ihr bewiesen habe, dass die reine Liebe möglich sei.
1997 kam er das erste Mal nach Deutschland – zur mongolischen Kulturwoche in Bonn. Dort kam ihm die Idee nach Gesprächen mit deutschen Theaterleuten, sein Land zu verlassen. Bereits im darauf folgenden Jahr gelang es ihm, sich bei den TU-Kunstwissenschaftlern einzuschreiben, nachdem er zuvor in der Hartnackschule Deutsch gelernt hatte. In einem Theatergeschichtsseminar wurde aus seinem Romeo- ein Leonardo-di-Caprio-Image.
Er ist verheiratet und hat mittlerweile zwei Kinder. Seine hier geborene Tochter heißt Burd (schöne Oase), wird jedoch von allen Burda genannt. Die Familie wurde wiederholt von einer Familie namens Schmidt unterstützt. Herr und Frau Schmidt waren früher in der Mongolei tätig – und hatten sich dort mit der Mutter von Gerelsukhs Frau Munktuya angefreundet. Gerelsukh bekommt ein bisschen Unterstützung von zu Hause, ansonsten verdient er sein Geld bei der Tusma.
Sein Traum ist es, später als Regisseur wieder in der Mongolei zu arbeiten, wie er neulich dem Club-Korrespondenten der Jugendzeitung Super erzählte. Vor einiger Zeit organisierte Super eine Kabarettveranstaltung in der Diskothek „Rainbow“. Dort trat Gerelsukh leicht bekleidet als tanzender Michelangelo auf. Seitdem gilt er als der erste mongolische Stripper. Zuletzt organisierte Super zusammen mit dem Besitzer der Firma „Gazarch“ (Reiseführer), Nyamtsooj, eine Mongolen-Disco im Café Walden, die zugleich eine Presseparty war, denn es wurden 2.000 fast aktuelle mongolische Zeitungen an die etwa 150 Gäste verteilt. Dazu hielt der mongolische Parlamentssprecher Gontschigdorj eine kurze Rede, in der er betonte: „Wer frei denken will, braucht eine freie Presse.“
Die meisten Gäste waren Studenten aus der Mongolei, sie wurden aufgefordert: „Denkt nach vorne, bringt den Fortschritt in die Heimat!“ Nachdem eine Reihe von Abonnements der Zeitungen Seruuleg (Wecker), Humuus (Leute) und Mongolyn neg udur (Ein Tag in der Mongolei) verlost worden waren, gab es mongolische Tanzmusik – zuerst Pop und Techno, später klassische Stücke. Die Mongolen-Disco soll bald regelmäßig stattfinden.
Aber erst einmal trifft sich die mongolische Szene am Samstag um 19 Uhr in der Akademie der Künste bei einem Konzert von Saraa, der bekannten mongolischen Popsängerin, die bereits mehrmals im Haus der Kulturen der Welt auftrat und auch eine Weile in Berlin lebte. Ihr Konzert wird von der Tänzerin Hulan und der Germanistin Enkselenge organisiert – Anlass ist der mongolische Jahreswechsel im weißen Monat (Februar). Die Einnahmen sollen mongolischen Viehzüchtern zugute kommen, die in diesem extrem kalten Winter ihre Herden verloren haben.
HELMUT HÖGE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen