taz.lab 2017 in Berlin: Torte, Schnaps und offene Gesellschaft
Hunderte Menschen diskutierten und feierten am Samstag in der taz eine pluralistische Gesellschaft. Mit dabei: viel Prominenz.
Während das taz.lab die vergangenen Jahre im Berliner Haus der Kulturen der Welt stattfand, musste es in diesem Jahr mit dem deutlich kleineren Redaktionsgebäude der taz in der Rudi-Dutschke-Straße vorlieb nehmen. Trotzdem hatte es Einiges zu bieten. Über zwei Dutzend Veranstaltungen drehten sich um das Thema „Offene Gesellschaft“. An sechs Orten im Haus und drum herum fanden Gesprächsrunden, Kiez-Rundgänge, Ausstellungen und Workshops statt.
Wie in einem Ameisenbau wuselten an die 300 taz-Freund_innen umher und diskutierten mit über 40 taz-Pat_innen aus den verschiedensten Bereichen über Demokratie, Identität und Heimat. Konzepte, mit dem sich auch das Projekt taz.meinland schon seit Ende letzten Jahres auseinandersetzt, in dem es durch das Land reist, an kleine Orte, um Fragen zu stellen und Antworten zu hören. Das diesjährige taz.lab stand daher unter seinem Stern und lud zu seiner Halbzeit in die eigenen Hallen ein.
Nach dem „Weckruf“ von Chef-Redakteur Georg Löwisch und „Mr. tazlab“ Jan Feddersen um kurz vor neun, geht es los. Immer mehr Menschen strömen zu den Veranstaltungsorten, junge „Türsteher“ kontrollieren an den Eingängen schüchtern die Bändchen an den Handgelenken der Gäste. Obwohl schon fast der Mai ins Haus steht und sich die Sonne sogar ab und zu blicken lässt, ist die Luft kühl. Das unbeheizte Außenzelt, in dem Jan Feddersen und Esra Küçük, Leiterin des Gorki-Forums in Berlin, gleich mit dem Thema Patriotismus einsteigen, ist trotzdem gut besucht.
Deniz ist überall
Im taz.café studieren Einige noch das Programm und trinken ihren zweiten Kaffee, aber auch hier finden sich bald darauf der stellvertretende Leiter des Auslandressorts der Welt Daniel-Dylan Böhmer und taz-Redakteurin Doris Akrap ein, um über die Situation von Deniz Yücel zu sprechen. Doris Akrap kennt den noch immer in der Türkei in Einzelhaft einsitzenden Journalisten schon seit der Schulzeit und beginnt die Veranstaltung mit einer Anekdote dazu wie sie sich zum ersten Mal trafen: „1986 spielte ich mit Deniz’ Schwester im selben Akkordeon-Verein. Bei ihr zu Hause kam immer mal wieder ein Typ mit zotteligen Haaren rein und fragte unfreundlich: 'Was’n hier los?’“.
Die persönlichen Anekdoten lockern immer wieder die ernste Stimmung auf. Welt-Redakteur Böhmer bekennt sich mit klaren Worten: „Wir haben die Verantwortung ihn da raus zu holen.“. Zwei letzte Hinweise zum Schluss: Deniz’ Buch „Taksim ist überall“ wurde neu aufgelegt und ist bereits im Handel erhältlich. Und: Am Mittwoch, den 3. Mai findet unter dem Motto „Auf die Presse!“ ein Solidaritätskonzert am Brandenburger Tor statt.
So offen Thema, Tür und Tor, so offen auch das Format der Gespräche. Nach dem „Küchentisch-Prinzip“ reihen sich die Sitzreihen für das Publikum an jedem Ort um einen großen Tisch herum. An dem haben jedoch nicht nur Moderierende und Referent_innen Platz, sondern auch die Gäste werden dazu ermuntert, sich direkt mit an den Tisch zu setzen. Das funktioniert sogar, in den meisten Fällen, ziemlich gut. Auch im Konferenzraum sitzen am späteren Vormittag Pat_innen und ein paar Frauen und Männer aus dem Publikum gemeinsam an dem mit einer karierten Tischdecke und Blumenvase bedeckten Tisch. Sie diskutieren angeregt über Soziale Gerechtigkeit, Umverteilung und die Rolle der Politik.
Im Anschluss sagt die Besucherin Ursula Busch, sie hätte sich zwar nicht aktiv an der Diskussion beteiligt, sich aber zwischendurch „ganz schön über den hochmoralischen Ton aufgeregt“, in dem über „die Reichen“ gesprochen worden sei. Die Feindbilder, die dort gezeichnet worden wären, seien ihr zu plakativ. Aber zum puncto „sich Aufregen“ sagt sie auch: „Insofern war es eine richtig gute Veranstaltung, denn sie hat die Leute angeregt. Darum geht es ja schließlich hier.“. Sie ist 58 Jahre alt und „schon immer“ taz-Abonnentin. Sie hat bisher mit wenigen Ausnahmen alle taz.labs besucht.
Gesucht wird jung
Zur Mittagszeit nimmt das Gewusel noch einmal an Fahrt auf. Zwei Foodtrucks stehen nun vor dem taz-Gebäude und versorgen Besucher_innen und das lab-Team mit Mittagessen. Einem Ehepaar aus Münster ist ein Ungleichgewicht aufgefallen: „Wir vermissen die jungen Leute und ihre Sichtweisen hier. Wo sind die nur abgeblieben?“, fragt Walburga Neubert, 67 Jahre. Auch als um kurz nach 13 Uhr auf der Konferenzetage eine riesengroße Torte mit der Aufschrift „25 Jahre taz-Genossenschaft“ angeschnitten wird, reihen sich darum vor allem ältere Genossen und Genossinnen.
Doch da, im Nebenraum, sitzt ein junger Mann auf einem Stuhl und wartet auf die nächste Veranstaltung. Gustav ist 19 Jahre alt. Er ist allein gekommen. Seine Freunde lesen kaum Zeitung. Seine Eltern aber seien taz-Abonnentinnen, daher lese er die taz seit er denken könne. Es ist sein erstes taz.lab. Im Pavillon ganz oben unter dem Dach hätte er gerade noch zusammen mit zehn Leuten aus dem Publikum und sechs Sprecher_innen über Politik diskutiert: „Das war echt cool und eine erfrischende Abwechslung zu den Youtube-Kommentaren im Internet.“.
Mit voranschreitender Tageszeit senkt sich der Altersdurchschnitt doch noch ein wenig. Die Langschläfer_innen mischen sich unter. Der Ameisenbau brummt auch am Nachmittag immer noch vor Geschäftigkeit. Auf der „Grünfläche“, im Außenzelt findet um 18 Uhr die letzte Veranstaltung statt. Die „Wahrheit“ lädt zu einer Lesung feinster satirischer Texte, und einer gemeinschaftlichen Spirituosen-Verköstigung ein. Mit dabei sind taz-Kolumnist Uli Hannemann, Schriftsteller und Reptilienwissenschaftler Heiko Werning, die Autorinnen Jenni Zylka und Pia Frankenberg sowie Wahrheit-Redakteur_innen Harriet Wolff und Michael Ringel. Letzterer eröffnet die „Alkohol-unterstützte Veranstaltung“ mit einer Runde Whiskey.
Im Laufe der folgenden 90 Minuten werden darüberhinaus noch Obstler, Mangoport bis hin zu Affenbrotbaumschnaps ausgeschenkt. Die Kälte im Zelt ist schnell vergessen, die Stimmung könnte kaum besser sein. Nachzügler_innen rümpfen die Nase beim Betreten des Zeltes. Der Reih’ um werden Texte gelesen, gefühlt alle fünf Minuten stößt jemand versehentlich eine Flasche um. Es hat etwas ungewollt slapstick-artiges. So endet das taz.lab wie es angefangen hat: mit einem konstruktiven Chaos, und altersmäßig doch noch ausgewogenem Publikum.
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