taz.berlin-Adventskalender 24: … und das ist Rot
Im taz.berlin-Adventskalender präsentieren wir in diesem Jahr, passend zum Winter-Shutdown, schöne Spiele. Heute: Ich sehe was, was du nicht siehst.
Neu ist, dass zuverlässig meine Nichte ans Telefon geht, wenn ich bei meinem Bruder auf dem Festnetz anrufe. Kaum klingelt es, flötet schon die Dreijährige ein gut gelauntes „Hallo“ in den Hörer. Da es inzwischen auch nicht mehr ihr erster Impuls ist, beim Telefon auf den roten Auflegebutton zu drücken, schnacken wir los. Und dann fragt sie, wann ich mal wieder vorbeikomme … „Bestimmt bald“, sage ich. „Ich wäre auch jetzt gern bei euch.“ Aber wir haben entschieden, dass wir uns im Dezember nicht besuchen.
„Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist türkis“, sage ich zu meiner Nichte. Ich weiß, dass sie gerade in der Küche ist und erinnere mich an das türkise Regal, das über dem Tisch hängt. Oder war es eine türkise Tasse, die in dem Regal steht? Ich bin mir nicht mehr ganz sicher und warte ab, was sie sagt. „Guck mal über dem Tisch“, sage ich sicherheitshalber. Als Tipp, aber auch, weil ich selbst jetzt wissen will, ob ich mit dem Regal richtig lag.
Aber statt „Regalbrett“ oder „Tasse“ zu sagen, erklärt sie mir etwas umständlich, dass sie gerade bei sich zu Hause ist – für den Fall, dass ich dachte, sie sei in der Küche der Oma, bei der wir uns zuletzt gesehen hatten. „Ja, die Küche bei euch“, sage ich.
In Gedanken gehe ich die anderen Zimmer durch, streife mit dem Blick den Schrank, in dem die Kinderbücher (bunt) stehen und gucke rüber zum Sofa (dunkelgrau). Und steht im Wohnzimmer nicht auch noch dieser große Kachelofen (dunkelgrün), der allerdings nicht mehr beheizt wird?
Auch eine Achtsamkeitsübung
„Ich sehe was, was du nicht siehst“ klappt zu zweit, aber auch mit mehr Mitspieler*innen. Wer dran ist, überlegt sich einen Gegenstand und gibt als erstes einen Hinweis auf die Farbe: „Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist: rot“, sagt die Nichte.
Wir sind inzwischen beim Videocall, sodass sie sich in meinem Zimmer umgucken kann. Bei der Auswahl des Gegenstands gibt es ein paar Einschränkungen: Wer das Spiel etwa im Zug oder Auto spielt, sollte fairerweise keine Dinge draußen wählen, die dann schneller vorbeigeflogen sind, als die Mitspieler*innen „Kuhstall“ sagen können. Ähnliche Verabredungen sind auch bei der Variante auf Distanz sinnvoll. Wenn lange niemand auf die Lösung kommt, helfen kleine Hinweise auf die Sprünge. Wer den Gegenstand errät, ist als nächstes dran.
Im Internet lese ich, dass das Spiel auch als Achtsamkeitsübung durchgeht, weil es anregt, die Umgebung bewusst wahrzunehmen. Meiner Erfahrung nach dient es vor allem als Lückenfüller, um etwa Autofahrten oder Wartezeiten zu überbrücken. Doch die Auswahl des Gegenstands ist durchaus ein Kunststück: Was zu auffällig ist, sofort ins Auge springt, ist zu leicht – wer etwas Unscheinbares wählt, muss aufpassen, dass die Mitspieler*innen nicht die Lust am Raten verlieren.
Es geht doch gar nicht so sehr um die Dinge um uns herum, sondern um die Mitspieler*innen und ihre Perspektive, denke ich, während ich den Blick durchs Zimmer schweifen lasse und überlege, was meiner Nichte wohl Rotes ins Auge gefallen sein könnte … Fußboden, Lampenschirm, Sofadecke durch diese wacklige Handykamera hindurch? Oder doch der rote Auflegeknopf am Telefon?
Erforderlich beim Spiel auf Distanz: gute Erinnerung an Inneneinrichtung oder Handykamera
Zielgruppe: kleine Kinder
Wer das spielt, spielt auch: Zettel am Kopf, Berufe raten
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