taz wird: „Wir müssen diverser werden“
Der taz Salon diskutiert, wie sich Hannover aus seinen kolonialen Verstrickungen befreien kann
Interview Benno Schirrmeister
taz: Frau Gemeinhardt, spielt Kolonialismus künftig eine Rolle in Hannovers stadtgeschichtlichem Museum?
Anne Gemeinhardt: Da sind wir uns sehr sicher. Die Ausstellung „Von Goldenen Kutschen und kolonialer Vergangenheit“ hatte 2022 diese Frage ja zur Zeit der Personalunion beleuchtet.
Das sind die 120 Jahre bis 1837, in denen die Herrscher von Hannover auch die britischen Könige waren.
Das war das erste Mal, dass unser Museum die Verstrickungen Hannovers in den Kolonialismus betrachtet hat. Die dabei entstandenen neuen Netzwerke helfen uns jetzt, auch bei der Vorbereitung der neuen Dauerausstellung nicht hinter das dabei erworbene Wissen zurückzufallen. Momentan hat das Museum geschlossen und wir haben die Chance, bestehende Konzepte auf neue Fragestellungen hin querzubürsten: Welche Forschungen gibt es bereits? Welche bislang übersehenen Aspekte sollten wir in einem Stadtmuseum erzählen?
taz Salon „Dekolonisieren – Wie geht das?“ mit Innawa Bouba, (Dachverband Generation Postmigration / Beirat dekoloniales Erinnerungskonzept), Djenabou Diallo-Hartmann (Stellv. Fraktionsvorsitzende B90/Die Grünen im Landtag) und Anne Gemeinhardt (Direktorin der kulturgesch. Museen): 14. 5., Kulturzentrum Faust, Hannover, 19 Uhr, Online-Anmeldung: pretix.eu/taz/dekolhannov
Das Thema drängt sich angesichts der britischen Entwicklung im 18. Jahrhundert auf, wirkt aber regionalhistorisch verblüffend unerforscht …
Ja, da gibt es noch viel zu erforschen. Aber Hannover hat jetzt die besten Möglichkeiten dafür, das künftig zu tun – mit dem am Zeitzentrum Zivilcourage angedockten Beirat Dekolonisierendes Erinnerungskonzept, mit dem globalgeschichtlichen Centre for Atlantic and Global Studies an der Leibniz Universität, aber auch mit zivilgesellschaftlichen Initiativen. Auch die Kolleg*innen des Landesmuseums setzen sich intensiv mit der Kolonialgeschichte auseinander. Da kann sehr viel entstehen, im Dialog, wenn man sich austauscht und die in der Stadt verteilte Expertise bündelt.
Der Literaturwissenschaftler Axel Dunker nennt den Kolonialismus den Kontrapunkt seiner Epoche, also eine Bassstimme, die oft überhört überall mitschwingt: Lässt sich die auch am musealen Objekt nachweisen?
Es gibt sicherlich zu vielen Stücken in unserer Sammlung auch noch andere als die bisher erzählten Geschichten zu erzählen, wenn man die Perspektive darauf und seine Fragestellungen verändert. Wir kennen das beispielsweise im Zusammenhang mit Waren, die in Hannover vertrieben oder hergestellt wurden, mit Rohstoffen aus den Kolonien. Zucker ist dafür ein Beispiel. Deshalb ist mir wichtig, dass wir uns als Museum künftig auch mehr unterschiedliche Perspektiven ans Haus holen. Wir müssen als Team diverser werden, um solche Blicke zu ermöglichen und bislang nicht erzählte Geschichte sichtbar zu machen.
Bei Hannover würde ich als Erstes an Gummi denken: Kautschuk, über den hannoverschen Hafen in Harburg eingeführt, war Anlass für den Putumayo-Völkermord am Amazonas und für die Kongo-Gräuel, also für zehn Millionen Tote, und hat gleichzeitig hier durch vier Firmen das Stadtbild geprägt, von denen eine noch existiert. Wie schauen Sie darauf?
Hier sind die kolonialen Verstrickungen sehr offenkundig, in anderen Fällen sind diese subtiler. Es gibt zweifellos Geschichten, die sehr „typisch Hannover“ sind, auch Firmengeschichten, die man auch kritisch im Sinne aktueller Forschungsdebatten betrachten könnte. Auch ein dekolonisierender Blick auf unsere eigene Institution, deren Gründungsgeschichte als „Vaterländisches Museum“ ja ebenfalls in die Zeit um 1900 fällt, wäre wünschenswert. Regionalhistorische Museen sollen ja heute nicht mehr vorrangig zeigen, wie toll die eigene Stadt ist, sondern auch offen mit negativen Aspekten umgehen. Idealerweise gelingt es, ein Raum für Diskussion sein und Diskurse mitzugestalten – letztlich geht es bei der Beschäftigung mit der Geschichte ja darum, daraus Schlüsse für unser gegenwärtiges Zusammenleben ziehen zu können.
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