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taz-adventskalender „24 stunden“ (5)5 Uhr in der S-Bahn

Fünf nach 5 verlasse ich das Haus und gehe zur S-Bahn. Ich fahre von Friedrichshain nach Grünau, dort arbeite ich in einem Krankenhaus. Um 5.15 Uhr sitze ich in der Bahn, halbe Stunde Fahrtzeit. Das mache ich seit mehr als 20 Jahren so.

Weil ich immer zur gleichen Zeit vom selben Bahnhof abfahre, sehe ich häufig die gleichen Leute. Alle sitzen dann allein in einem Vierer. Es scheint, als ob die meisten Menschen so früh am Morgen nicht gern mit der Bahn fahren. Mir macht das nichts aus. Ich stehe gern früh auf. Ich habe meine Kopfhörer drin, höre ein schönes Lied, schmunzel vor mich hin. Die Leute schauen irritiert: Wie kann der gute Laune haben?

In letzter Zeit sehe ich viele junge Menschen, mehr als früher, die mit mir Richtung Grünau fahren. Manche steigen in Johannisthal aus, dem früheren Betriebshof Schöneweide, weil die Bahn dort ein Werk hat. Dann sind noch die, die im Technologiepark Adlershof arbeiten und dort aussteigen.

In der Regel ist die Bahn morgens pünktlich. Bevor ich losgehe, checke ich immer die BVG-App. Ärgerlich ist, wenn die Bahn ausfällt, obwohl sie laut App sogar pünktlich fährt. Dann heißt es: warten. Im Sommer mag das noch gehen, aber jetzt ist es einfach zu kalt. Wie in dem Witz aus DDR-Tagen. Die S-Bahn hat nur vier Feinde: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Passt auch heute noch.

Am Bahnhof Ostkreuz merkt man, dass er mitten in einer Partyzone liegt. Hier steigen auch Leute ein, die nach einer durchzechten Nacht kaum noch geradeaus gucken, geschweige denn geradeaus gehen können. Wie letztens ein junger Mann an einem Freitagmorgen. Kommt rein, bleibt in der Tür stehen, dreht sich und kotzt die gegenüberliegende Tür voll. Und dann: nichts. Alle sagen nichts, schauen weg und versuchen, Abstand zu gewinnen. Oder wechseln beim nächsten Halt den Waggon.

Nette Begebenheiten gibt es leider so gut wie nie. Meine größte Waffe ist Freundlichkeit. Auch morgens um 5. Immer alle anlächeln, zur Musik mit dem Fuß wippen, vor sich hin schmunzeln … Probieren Sie es doch auch mal mit einem Lächeln morgens früh um 5.

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Stressig und chillig, hässlich und schön, herzerwärmend und abstoßend: Berlin hat viele Seiten, rund um die Uhr. In diesem Advent hangeln wir uns durch 24 Stunden Hauptstadtleben und verstecken jeden Tag aufs Neue 60 Minuten Berlin hinter unserem taz-berlin-Kalendertürchen. Heute: ab 5 Uhr

Patrick Hermann, Krankenhausmitarbeiter

Protokoll: Andreas Hergeth

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