taz-adventskalender „24 stunden“ (2): 2 Uhr im Club Watergate
Im Watergate ist die Hölle los. Die Party tobt. Doch Abschied liegt in der Luft. Der Club wird zum Jahresende schließen. Es rechnet sich nicht mehr.
Stressig und chillig, hässlich und schön, herzerwärmend und abstoßend: Berlin hat viele Seiten, rund um die Uhr. In diesem Advent hangeln wir uns durch 24 Stunden Hauptstadtleben und verstecken jeden Tag aufs Neue 60 Minuten Berlin hinter unserem taz-berlin-Kalendertürchen. Heute: ab 2 Uhr im Watergate.
Die Luft im Untergeschoss des Watergates ist zum Schneiden: wenig Sauerstoff, dafür Noten von Schweiß, Chemie, Alkohol – typische Clubluft. Das Watergate ist in dieser Nacht gut gefüllt, schwarz gekleidete Körper quetschen sich an Glitzeroberteilen und oberkörperfreien Schwitzrücken vorbei. Ein paar erschöpfte Gestalten lümmeln auf Lederbänken, andere kämpfen sich mit Shots und Red Bull an der Bar wieder hoch.
Es ist immerhin schon fast Montagmorgen, genauer gesagt zwei Uhr und die Party namens „Power“ läuft mittlerweile seit zwölf Stunden. Die Partyreihe findet schon zum fünften Mal im Watergate statt. Ihr Sound ist housig, die Crowd recht gemischt. „Weil wir schon am Sonntagnachmittag anfangen, können auch Leute mit uns tanzen, die Verpflichtungen wie Kinder oder einen Job am Montagmorgen haben“, sagt Lewin Paul Schulte. Gemeinsam mit seinen Freunden Florian Kleber und Johannes Retschke veranstaltet er die „Power“.
Auf der Tanzfläche bewegt sich eine Art symbiotische Masse, deren grinsende Gesichter manchmal von den Lichtblitzen erleuchtet werden. Jemand hat einen Fächer gegen die Hitze dabei und fächelt den Tanzenden etwas Luft zu. „Yass Queen“, ruft eine andere Person und reckt die Arme nach oben. Kurze verschämte Zigarette auf der eigentlich rauchfreien Tanzfläche. Kurzes verschämtes Knutschen daneben. Ein Blick auf die Uhr: 2:06. Aus den Boxen dröhnt grooviger House, Seth Troxler mixt ein Sample rein: „I don’t need this shit“, die Menge singt mit. Denn neben Schweiß, Chemie und Alkohol liegt in dieser Nacht auch etwas Frust und Schmerz in der Luft.
Was hier so unbeschwert daherkommt, ist in Wirklichkeit eine Abschiedsparty. Seit September ist klar, dass das Watergate zum Jahresende schließen wird. Die Power wird darum in dieser Nacht zum letzten Mal hier stattfinden. 22 Jahre lang war das Watergate eine Berliner Institution, zuletzt kürte das DJ Mag den Club sogar zu einem der Top 100 weltweit.
Die Zukunft – ein Balanceakt
Nun haben hohe Mieten, Inflation und die Energiekrise ihr Übriges getan. Die Zukunft des Watergates sei zunehmend zum Balanceakt geworden, schreibt der Club auf seiner Website. Zu schließen sei mit Blick auf die wirtschaftliche Perspektive die einzig vernünftige Entscheidung gewesen, heißt es in dem Statement. Es endet mit: „Die Party ist vorbei – lang lebe die Party!“
Mit den Sorgen rund um Miete und ausbleibende Besucher:innen ist das Watergate nicht allein. Auch die Wilde Renate, die den gleichen Vermieter wie das Watergate hat, muss dichtmachen. Ein Jahr länger, bis Ende 2025, bleibt ihr noch. Letztes Jahr mussten unter anderem das Mensch Meier seine Tore schließen. Eine jüngste Befragung der Clubkommission ergab, dass Umsatz und Gewinn der Clubs im ersten Halbjahr 2024 um fast die Hälfte eingebrochen sind.
Über ein drohendes Clubsterben möchte Sonntagnacht im Watergate niemand sprechen. Jetzt ist Zeit für „den letzten Tanz“, wie das Motto der „Power“ für diese letzte Ausgabe lautet. Viele langjährige Verbündete sind zum letzten Tanz gekommen, die Gästeliste für den Abend ist lang. Veranstalter Lewin Paul Schulte flitzt durch die zwei Floors und begrüßt mal links, mal rechts Freund:innen. Als ein Teil des DJ-Duos „Power Squad“ hat Schulte gemeinsam mit seinem Partner Johannes Retschke heute Abend schon selber aufgelegt, jetzt fällt die Anspannung langsam ab. Es gehe ihm zwar gut, „aber da ist auch Melancholie“, sagt Schulte.
Ob die Power in einem anderen Club weiterlaufen wird, ist bisher noch unklar. Denn es braucht einen Ort, der der Atmosphäre der Partyreihe gerecht wird. Die Lage an der Oberbaumbrücke und die Räumlichkeiten mit den großen Fenstern, die tagsüber Licht hereinlassen und nachts den Blick auf die glitzernde Spree freigeben – all das ist schwer zu ersetzen. Und das ist auch die emotionale Verbindung zum Watergate, das für viele mehr ist als nur ein Club in Kreuzberg. „Zuhause“ nennt Lewin Paul Schulte es. „Ich bin zumindest mehr hier als daheim“, sagt er mit einem kleinen Grinsen.
An Silvester wird das Watergate dann das allerletzte Mal seine Pforten öffnen. Wer zu diesem besonderen Anlass auflegen soll, ist bisher ein Geheimnis. Die Partys im Watergate werden erst einmal vorbei sein, aber das Berliner Lebensgefühl wird hoffentlich bleiben: Lang lebe die Party.
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