taz-Serie "Soziale Stadt (3): Gentrifizierung am Hackeschen Markt: Die Problemzone mit der 1a-Lage

Rund um den Hackeschen Markt lässt sich ablesen, wohin Gentrifizierung führt. Inzwischen sorgen sich selbst Immobilienmakler um den Kiez. Große Ketten verdrängen kleine Geschäfte. Das Viertel verliert an Flair.

Im November musste auch Ursula Wünsch mit ihrer Spielzeugwerkstatt aus der Mulackstraße ausziehen. Die Gestalterin war seit den 70er-Jahren im Kiez verwurzelt. Damals war die Gegend rund um den Hackeschen Markt noch stille Mauerrandlage mit verfallenden Altbauten. Wünsch hat hier mit Kindern gearbeitet, neben dem Haus den "Wunschgarten" angelegt. Doch im Sommer hatte der neue Hauseigentümer die Ladenmiete von 850 auf 2.500 Euro verdreifacht - für 80 Quadratmeter in einer kleinen Seitenstraße.

Ihr Wegzug ging wesentlich stiller vonstatten als der des "Schwarzenraben" gleich um die Ecke, in der Neuen Schönhauser Straße 13. Vor zwei Jahren machte das Luxus-Prominenten-Lokal zu und Platz für einen exklusiven "Urbanwear-Store". Und plötzlich wurde heiß Verdrängung am Hackeschen Markt debattiert: Zeitungen brachten lange Trauerartikel, und selbst konservative Bezirkspolitiker, die das Wort "Verdrängung" jahrelang lachhaft gefunden hatten, wenn es um altansässige Mieter ging, zeigten sich nun besorgt. Bang wurde gefragt, ob jetzt die vielen Restaurants den großen Modelabels weichen müssen.

Das Schlagwort "Gentrifizierung" ist in aller Munde. Jahre nach der Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus wird wieder über Wohnungspolitik und soziale Stadtentwicklung diskutiert.

Die taz widmet sich in den kommenden Wochen mit einer Textserie dem Thema "Soziale Stadt". Wie funktioniert die Gentrifizierung? Und wie kann eine soziale Wohnungspolitik sinnvoll eingreifen?

Bereits erschienen ist eine kritische Bilanz der rot-roten Mietenpolitik (19. 12.) sowie ein Text über den Boom der Baugemeinschaften (23. 12.).

Teil 4 der Serie wird von den Anfängen der Ostberliner Hausbesetzerbewegung vor genau 20 Jahren erzählen und wie sie die Stadt verändert hat. Der Text erscheint am morgigen Donnerstag.

Die Neue Schönhauser Straße 13 steht exemplarisch für den radikalen Wandel vom Arbeiterquartier zum hochgeziegelten Kommerzviertel: Ironischerweise hatte sich dort ursprünglich um 1900 im Erdgeschoss ein Volkskaffeehaus befunden, in dem die Ärmsten eine billige warme Mahlzeit erhielten. Nach dem Mauerfall kaufte der Hamburger Investor Harm Müller-Spreer das Haus und vermietete die einstige Speisehalle an den Clubbetreiber Dimitri Hegemann, der den "Schwarzenraben" etablierte.

Der Aufwertungsprozess des Gebiets binnen nur 20 Jahren war klassisch: Erst kamen Kulturszene, Clubs und Galerien, dann Touristen, Investoren und jede Menge Restaurants. Die Grundstückspreise und Mieten stiegen drastisch. Doch damit war die Spirale noch nicht am Ende: Avantgarde-Modelabels profilierten die Alte und Neue Schönhauser als Shoppingmeile, die in jedem Reiseführer stand. Ihnen folgten schnell die großen Marken.

Statt Bäcker, Künstlerbedarf und Themenbuchhandlung gibt es nun Adidas, Lacoste, Boss, Swatch, Starbucks, H&M. Laut einer Studie des Immobilienbüros Engel & Völkers verdoppelten sich allein zwischen 2005 und 2007 die durchschnittlichen Ladenmieten rund um den Hackeschen Markt von rund 50 auf 100 Euro pro Quadratmeter: Das Viertel sei der am stärksten boomende Berliner Einzelhandelsstandort und habe sich mit Hotels, Gastronomie und Mode zur touristischen "Shopping-Destination" entwickelt. Etwas pikiert merkten die Immobilienexperten jedoch an, dass die "Toplagen" hier und da noch "beeinträchtigt" seien, und zwar durch Gewerbemieter der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Mitte, wie eine Physiotherapie oder einen Metallbaubetrieb, "die eigentlich nicht mehr zum Niveau der Straße passen".

Inzwischen liegen Spitzenmieten bereits bei 110 bis 160 Euro pro Quadratmeter: Mit den großen Ketten, die sich Flagship-Stores in 1a-Lagen viel kosten lassen, können kleinere Gewerbetreibende nicht mehr mithalten.

Dem Image entsprechend hat sich auch das soziale Milieu verändert: Junge, überdurchschnittlich verdienende Akademiker haben die einstige Bewohnerschaft weitgehend abgelöst. Etwa die Hälfte der jetzigen Anwohner ist erst in den letzten sechs Jahren zugezogen und war bereit, eine Menge Geld in die 1a-Lage zu investieren. Der Anteil an Eigentumswohnungen steigt, für 1 Quadtratmeterpreis ab 3.000 Euro. Bei Neuvermietungen werden um die 10 Euro nettokalt gezahlt. Um Altmieter loszuwerden, bieten Eigentümer bis zu 2.000 Euro je Quadratmeter als Ablöse.

Dass dennoch immerhin noch ein Zehntel der Anwohner schon länger als 15 Jahre hier lebt, liegt zum einen an den hiesigen Plattenbauten, in die Gutverdiener nicht unbedingt ziehen wollen. Zum anderen daran, dass in dem Viertel, das Anfang der 90er zum Sanierungs- und Denkmalschutzgebiet erklärt worden war, ein Teil der Häuser mithilfe von Förderprogrammen saniert wurde. Das Geld vom Land Berlin gab es aber nur, wenn die Hauseigentümer Mieterschutzklauseln akzeptierten. Vor allem Leute mit kleineren Einkommen leben in solchen Wohnungen. Doch diese Mietpreisbindungen warne meist auf 15 Jahre begrenzt. Sie laufen nun nach und nach aus.

Jan Bauditz hat längst keine Illusionen mehr. Der Architekt wohnt seit 28 Jahren im Gebiet. 1989 hatte er zusammen mit anderen die Alte Schönhauser 14/15 besetzt und eine Genossenschaft gegründet. Aber der Versuch, das Gebäude in Selbsthilfe zu sanieren, scheiterte an ungeklärten Eigentumsverhältnissen. Heute gehört auch dieses Haus Müller-Spreer, der sich seit 1990 quer durchs Viertel kauft. Dessen Aufwertung hat Bauditz nicht überrascht. "Mir hat mal ein Gastwirt gesagt, Mitte sei schließlich für die vergnügungswilligen Besucher da." Die vielen Schuh-, Designer- und Modeläden habe er allerdings nicht erwartet.

Auch Simone Motzkus, die im Jahr 2000 aus dem Westen herzog und ein ambitioniertes Geschäft für Kindersachen eröffnete, findet den Wandel inzwischen bedenklich. "Die Mieten explodieren. Die kleinen, individuellen Geschäfte, die das Viertel erst attraktiv gemacht und den Marktwert gesteigert haben, müssen gehen."

Das rasante Umkippen verunsichert nicht nur sie. Denn das Viertel am Hackeschen Markt wandelte sich vom Avantgardegebiet über die Kneipenmonokultur und die Luxusaufwertung hin zum Ziel für Massentourismus. Immer mehr Billighostels und Hotels entstehen, allein vier entlang der Rosenthaler Straße. Nächtlicher Sauftourismus, Starbucks und H&M wirken nicht sonderlich avantgardistisch.

Harm Müller-Spreer sieht die Entwicklung sportlich. Er hat die Zentrale des Softwareentwicklers SAP sowie diverse Modemacher in den Kiez hergeholt. Dass sein einstiges Stammlokal Schwarzenraben schließen musste, kommentiert er trocken: "Die waren halt pleite." Insgesamt sei das eben eine 1a-Lage. "Die funktioniert jetzt erst richtig. Der Hackesche Markt wird kontinuierlich weiter aufgewertet." Die Analysten von Engel&Völkers hatten immerhin schon vor zwei Jahren eine dunkle Ahnung des nahenden Dilemmas: "Die Zunahme von kommerziellen Anbietern und Markenunternehmen führt jedoch zur Verdrängung von Kultur- und kleinen Gewerbetreibenden, die maßgeblich für das Image des Quartiers verantwortlich sind." Das sei selbst für Immobilienhändler ziemlich blöd, weil die kommerziellen Anbieter ja erst wegen der attraktiven, "interessanten Mischung aus Kultur, Handwerk, Kommerz und Wohnen" hierherkamen.

"Monokultur" klagt nun Exkneipenchef Dmitri Hegemann - und meint damit, dass die Kneipenmonokultur von großen Modefirmen verdrängt wird. Ursula Wünschs Spielzeugwerkstatt ist in die Greifswalder Straße umgezogen. In ihrem einstigen Laden gibt es jetzt - nun ja, Klamotten.

IMMOBILIENENTWICKLER

HARM MÜLLER-SPEER

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.