taz-Serie: Neue digitale Spielarten (1): Goldgrube Gratis-Games
Computerspiele sind teuer? Nicht unbedingt. Spielefirmen haben ein neues Geschäftsmodell entdeckt: Gratisspiele. Ganz umsonst sind sie nicht.
Kleine Männchen flitzen geschäftig über den Bildschirm. Sie hacken Holz, transportieren Waren mit Schubkarren und diskutieren auf dem Marktplatz. Rehe laufen über die Wiesen, während im Meer Fischschwärme ihre Runden drehen. Willkommen im neuen Teil der deutschen Strategiespielreihe „Anno“.
Hier baut der Spieler wie in den Vorgängern kleine Siedlungen zu imposanten Städten aus, treibt Handel und kümmert sich mit dem Bau von Kirchen und Spinnereibetrieben um die Bedürfnisse seiner Bevölkerung. Denn nur so entwickelt die sich weiter, macht neue Technologien möglich. Fans der Aufbaureihe kennen das Prinzip des mittelalterlichen Städtebaus. Neu ist nicht die Spielidee, sondern das Vertriebsmodell. „Anno Online“ gibt es nicht im Laden zu kaufen, sondern als Gratisspiel im Internet.
„Unser Ziel war es, dass Anno Online sich genauso anfühlt wie die Vorgänger. Nicht nur grafisch, sondern auch in Aufbau und Spielmechanik", sagt Benedikt Grindel. Der ehemalige „Siedler"-Entwickler ist bei BlueByte in Düsseldorf verantwortlich für die boomende Sparte der kostenlosen Online-Spiele.
Noch steckt Anno mit einem kleinen Kreis ausgewählter Spieler in der Testphase. Wenn alles gut läuft, die Server mithalten und die Kinderkrankheiten ausgemerzt sind, soll die Mittelalteridylle offiziell starten. Und an den Erfolg von „Die Siedler Online“ anknüpfen. Die Kostenlos-Version der ebenfalls aus Deutschland kommenden Strategiereihe verzeichnete bereits ein halbes Jahr nach dem Start Mitte 2011 hierzulande rund 1,2 Millionen Spieler.
Überall zugänglich
Free to Play nennt sich der Trend, den nach speziellen Firmen für Online-Spiele nun immer mehr der großen Hersteller klassischer Games für sich entdecken. 15,5 Millionen Deutsche spielen laut Branchenverband BIU Internetspiele. Davon 11,9 Millionen kostenlose Browsergames.
Den Erfolg sieht Grindel vor allem in der leichten Verfügbarkeit. Keine lange Kaufentscheidung, kein Gang in den Laden. Während manche der Gratisspiele erst heruntergeladen werden müssen, sind die populären Browsergames wie Anno noch leichter zugänglich. Auf dem Internetbrowser mit einem Passwort aufgerufen kann man sie an jedem Rechner spielen.
Also nach der abendlichen Sitzung am eigenen PC am folgenden Tag im Büro nochmal schnell schauen, ob das Volk genügend Ressourcen und Geld abgeliefert hat, um das neue Bauprojekt zu starten. „Wir bekommen ohne diese Hürden wie Kaufentscheidung und Installieren viel mehr Leute in die Spiele hinein“, so Grindel.
Umsatz: 233 Millionen Euro
Gucken kostet ja nichts. Ganz umsonst sind die Spiele trotzdem nicht. Zwar kann jeder durchweg gratis zocken. Wer Zeit sparen will, muss zahlen. Geht der Rohstoff Holz aus und man hat keine Lust, auf seine langsamen Holzfäller zu warten, kann man mit barer Münze nachhelfen. In manchen Spielen lässt sich so auch die Bauzeit von Gebäuden und die Wartezeit auf Aktionen verkürzen.
Die Cash-Inhalte kosten meist ein paar Cent bis maximal fünf Euro. Erstmal wenig Geld, das ohne langes Überlegen schnell ausgegeben ist. Das kann sich bei ungeduldigen Spielern aber zu einer großen Summe läppern. Micro-Payment heißt das erfolgreiche Geschäftsmodell mit dem sprichwörtlichen Kleinvieh, das auch Mist macht. Der Umsatz mit virtuellen Zusatzinhalten für Browser- und andere Spiele nahm laut BIU im Jahr 2011 um 70 Prozent auf 233 Millionen Euro zu.
Browsergames sind so gestaltet, dass sie sich über einen langen Zeitraum hinziehen. Viel Zeit für die Entwickler, mit etlichen Mitarbeitern auch nach dem Start an die Spielen zu werkeln. Viel Zeit, um als Spieler in der virtuellen Welt herumzuklicken, die Wartezeit bis zur nächsten Aktion mit Chats oder kostenpflichtigen Extras zu verkürzen. „Der Hauptunterschied zum klassischen Anno liegt in der Spielzeit“, so Grindel. Das Spiel geht etwas langsamer voran, die Gesamtzeit ist länger.
So sind die Games ideal für zwischendurch. Mittags ein paar Klicks, um den Hafen auszubauen und abends nochmal schnell schauen, ob alles fertig ist und das nächste Projekt anschieben. Mit diesem Prinzip hat schon vor zehn Jahren der Browserspiel-Klassiker Ogame viele Menschen fasziniert. Als Hobby-Projekt gestartet ist das Weltraumspiel mittlerweile in 29 Sprachen verfügbar. Schon kurze Zeit nach der Veröffentlichung war es so erfolgreich, dass der Erfinder Alexander Rösner die Firma Gameforge gründete, in der mittlerweile rund 600 Mitarbeiter Onlinespiele designen und vermarkten.
„Free to Play“
Bestanden Browsergames in den Anfangstagen meist aus mit kleinen Bildern aufgehübschten Tabellen, sind sie nun erwachsen geworden. Vorzeigbare Unterhaltungsprodukte statt interaktiver Webseiten. „Jetzt werden es richtige Spiele“, so Grindel. „Der Ablauf ist zwar gleich geblieben, aber visuell ist viel mehr hinzu gekommen“. Alles fühlt sich echter, lebendiger an.
Nach den Zeiten der kargen Statistik-Games für Computerfreaks entdeckten vor einigen Jahren immer mehr kleine Firmen die Browserspiele für sich und wuchsen teilweise rasant mit diesem Geschäftsmodell. Sie entwickelten Comic- und Fantasywelten, um die neuen Zielgruppen zu erreichen. Denn in den kostenlosen Webwelten tummeln sich viele Menschen, die sich sonst kaum für Spiele interessieren. Grund genug, auf simple Konzepte zu setzen, die für langjährige Gamer nichts als kindische Spielereien sind.
Das ändert sich nun. Jetzt wollen die großen Spielefirmen mitmischen und am Geschäftsmodell Free to Play teilhaben. Mit ihren großen Serien, die bereits als Kaufversion erfolgreich waren, sowohl Gelegenheitsspieler als auch echte Gamer ansprechen. Nicht nur BlueByte will laut Grindel „ganz nach oben“. Auch Electronic Arts versucht, mit kostenlosen Browser- und Download-Versionen seiner Marken „Need for Speed“, „Battlefield“ und „Command & Conquer“ Geld in die Kassen spülen.
„Free to Play ist bei EA momentan eine der ereignisreichsten Sparten“, so Sean Decker, der als Vizepräsident für die Kostenlosspiele verantwortlich ist. „So können wir noch mehr Spieler ansprechen und an unsere Marken binden“. Den Anfang machte vor drei Jahren „Battlefield Heroes", die Download-Version der Shooter-Reihe. Dort haben seitdem weltweit 14 Millionen Spieler gemeinsam über 80 Millionen Stunden Spielzeit verbracht.
Seit letzter Woche schickt EA auch die Spieler seines gebührenpflichtigen Online-Spiels „Star Wars: The Old Republic“ kostenlos ins virtuelle All. Mit ein paar spielerischen Einschränkungen gegenüber der gebührenpflichtigen Version. Diesen Weg, auf die festen Monatsbeiträge zu verzichten, mussten auch schon andere Hersteller klassischer Online-Games gehen, um im dichten Dschungel der Webgames konkurrenzfähig zu bleiben und die Spielerzahlen hoch zu halten. Gut für den Spieler, der nun gratis in Spiele hineinschnuppern kann ohne nach großen Ausgaben feststellen zu müssen, einen Fehlkauf getätigt zu haben.
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