taz-Serie Nachtzugkritik: Eine Nacht mit Überraschungen
Auf der Strecke von Berlin nach Basel gibt es unsanft wackelnde Betten sowie laute Zwischentüren, die alle Gespräche durchlassen.
In Berlin startet der Zug jedenfalls pünktlich. Ein Sprachenmischmasch aus Deutsch-Französisch-Japanisch begleitet die Suche nach den Abteilen, und als alle Menschen undGepäckstücke einigermaßen verstaut sind und der Zugbegleiter seine Runde macht, hört er sich die Anschlussproblematik geduldig an. Er nickt verständnisvoll, dann malt er ein Ausrufezeichen hinter die Nummer unseres Abteils und verspricht, Informationen über die Ankunftszeit weiterzugeben, sobald er sie hat.
Kurz vor Mitternacht. Ein Mann vom Personal telefoniert anscheinend mit der Leitstelle, um Genaueres über die Umleitungen herauszukriegen. Doch die weiß auch noch nichts. Kurz darauf hält der Zug in Leipzig. Zehn Minuten Verspätung. Fängt gut an.
Die zweite Überraschung kommt gegen halb eins, zur Schlafenszeit. Denn die Bahn hat, zumindest in dem Nachtzugtyp, mit dem wir heute unterwegs sind, zwischen den Abteilen Verbindungstüren verbaut. Das ist super für alle, die keine Lust haben, zu ihren Nachbarn den Umweg über den Gang zu nehmen. Und super für alle, die gerne die nächtlichen Konversationen der Nachbarn – von der Gute-Nacht-Geschichte fürs Kind über Privates und Intimes bis hin zu der existenziellen Frage, ob Android oder iOS – mitbekommen wollen.
Kurz, aber unruhig
Für alle anderen ist vor allem die mit den Verbindungstüren verbundene Zunahme der Lautstärke im Abteil eher nachteilig. Zum Glück kann ein höfliches Gespräch an der Tür (am Gang) das Problem lösen. Keine Apple-Probleme mehr.
Nachtzüge sind umweltfreundlich – und vom Aussterben bedroht. Die taz stellt deshalb in unregelmäßigen Abständen Verbindungen mit Schlaf- oder Liegewagen vor. Denn viele Angebote sind kaum bekannt. Wir schreiben aber auch, was besser werden muss, damit sie für mehr Menschen attraktiv werden. (taz)
Aus Sicht des Fahrgastverbands Pro Bahn gibt es für Nachtzüge nach wie vor Bedarf. Das gelte vor allem für Strecken mit einer Fahrzeit von mehr als acht Stunden, sagte Pro-Bahn-Sprecher Stefan Barkleit. „Solche Distanzen lassen sich auch im Hochgeschwindigkeitsverkehr tagsüber nicht sinnvoll abbilden“, fügte er hinzu. Für manche sei es eine Alternative zum Flug, etwa von Hamburg nach Zürich im Schlaf- oder Liegewagen zu reisen. (dpa)
Die Nacht ist kurz, aber unruhig. Entweder liegt es an der Strecke oder an den Zügen, aber der Ruckelfaktor ist extrem hoch. Die Berlin-Paris-Strecke in den Zügen der russischen Staatsbahn etwa ist da deutlich sanfter, auch die ehemalige Paris-Barcelona von SNCF und Renfe.
Macht aber nichts, denn um sechs Uhr morgens ist sie eh wieder vorbei: Das allgemeine Wecken über den Zuglautsprecher holt auch die aus den Betten, die bislang geschlafen hatten, und verursacht den obligatorischen Run auf die Waschräume. Mehr als eine halbe Stunde später zieht draußen Freiburg vorbei, eine gefühlte Ewigkeit also noch, bis wir aussteigen. Doch weit gefehlt, Überraschung drei: Unser Zug hält um 7.25 Uhr in Basel.
Fünf Minuten Verspätung – für einen Nachtzug sensationell. Es war das Ausrufezeichen. Ganz bestimmt.
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