taz-Serie Der Zuckerberg | Teil 4: Alle sehen die Pornos, die Sie gucken
Was soll das? Neuerdings posten sogar kluge Köpfe im eigenen Freundeskreis diese geschmacklos bunten Schreitäfelchen auf Facebook.
E rschreckend, dass neuerdings sogar kluge Köpfe in Form dieser geschmacklosen bunten Schreitäfelchen posten, die bislang aus gutem Grund Aphorismen der Kategorie „Morgenstund hat Gold im Mund“ oder angeblichen indianischen Weisheiten mit irgendwas mit Natur vorbehalten waren. Wer die Brüllschilder verwendete, outete sich als etwas einfältig und dem Inhalt nicht wirklich vertrauend. Aber ist ja nicht weiter schlimm. Jeder ist eben so, wie er ist.
Doch nun sind auch Menschen mit dreistelligem IQ betroffen. Und ich frage mich schon, wie und warum sie das machen. Das heißt, wie will ich eigentlich gar nicht so genau wissen. Höchstens wie nicht, damit mir das nicht eines Tages auch noch versehentlich selbst passiert.
Da rutscht die Maus aus oder man gerät über einen Shortcut wie Strg + Shift + F7 + Einfg, den man mit fettigen Fingern beim Essen zufällig in die Tastatur schmiert, in nie mehr rückgängig zu machende Voreinstellungen, die einen bis zum jüngsten Tag zum Schreitäfelchen postenden Simpel stempeln.
Man weiß ja als Computer-Depp oft nicht, was man da überhaupt macht – wutsch! – und schon wieder verlässt eine Peinlichkeit das schützende Gehäuse des eigenen Laptops oder Phones und geht, für immer unlöschbar dokumentiert, hinaus an die ganze Welt.
„Freunde von Freunden“
So wusste ich (wussten Sie das eigentlich?) zum Beispiel lange Zeit nicht, dass, wenn man gleichzeitig Facebook und eine Pornoseite geöffnet hat, die Titel der angeklickten Clips automatisch auf der Timeline sämtlicher „Freunde von Freunden“ angezeigt und fortwährend aktualisiert werden. Und zwar in Form von bunten Schreitäfelchen.
Facebook. Ein alter Hut zwar, doch mit vielen bunten Federn. Angesichts der versammelten Pracht von Schreiadler, Vollmeise, Schluckspecht, Trollvogel sowie praktisch sämtlichen Kauzarten, soll diese Serie für den nötigen Durchblick sorgen.
Ohne den irritierten Anruf meiner Mutti hätte ich das wahrscheinlich bis heute nicht mitbekommen, da niemand das je gelikt oder gar kommentiert hat.
Ein bisschen kann das fehlende Feedback auch damit zusammenhängen, dass ich seit einer Weile konsequent jeden „entfreunde“, der einen Post von mir nicht likt. Allzu lange habe ich mit eitel Zuckerbrot um mich geworfen wie ein Kasper mit Kamellen. Nun ist die Zeit der Peitsche angebrochen. Dies irae.
Kurzzeitig wurden die Schreitäfelchen diesen Monat dann von Hamburg überschrien. Hamburg, Humburg, Humbug.
Scheißerfahrungen
Weinende Menschen vor brennenden Autos, lachende Menschen vor brennenden Autos. Lachende Menschen vor weinenden Menschen und umgekehrt. Dazu unzählige verlinkte Artikel, Blogs und Privatmeinungen: Für die einen ist jede Omi, die auch nur mit der Wimper zuckt, wenn sie vor der Asche ihres Kleinwagens steht, eine geldgeile Heulsuse und Handlangerin des Postkolonialismus; die anderen wiederum delirieren von „Faschisten“ und „Krieg“, so als hätte man nach den Scheißerfahrungen auf der Baustelle zu Babel nicht die Sprache erfunden, um die Dinge mit unverwechselbaren Begriffen zu versehen. Zwischen diesen Extremen gibt es wenig.
Es ist so schade, dass fast alle außer mir so dumm sind. Man fühlt sich einsam so allein da oben auf dem Gipfel der Erkenntnis, der Vernunft und der Besonnenheit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja