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taz-Serie Berliner Bezirke (10): Friedrichshain-KreuzbergNicht alles grünt

Seit fünf Jahren regiert in Friedrichshain-Kreuzberg ein grüner Bürgermeister, der einzige in Berlin. Eine Ökoinsel ist der Bezirk dennoch nicht geworden.

"Um jede Stimme kämpfen." Grünen-Bürgermeister Franz Schulz, ehrfürchtig. Bild: dpa

Der weißhaarige Künstler wippt in Schlupflatschen auf den Treppenstufen vor seinem Laden. Vor dem 69-Jährigen läutet die Bergmannstraße ihr Abendgewusel ein, füllen sich die Cafés und Restaurants. Eine "wahre Lebenswonne" sei das hier, schwärmt er versonnen. "Das Alternative, die Mischung." Auch das Grüne? "Hm, ja, der Ströbele ist ein Guter." Und der grüne Bürgermeister soll auch nicht schlecht sein. Aber: "So richtig hat sich das nicht ausgewirkt. War doch schon immer alternativ hier."

Fünf Jahre ist es her, dass sich die Friedrichshain-Kreuzberger einen grünen Bezirksbürgermeister wählten, den einzigen in Berlin. Franz Schulz, ein ruhiger Mann mit kurzen grauen Haaren, 62 Jahre. Ein Physiker, in jungen Jahren politisch weit links. 33 Prozent holte er - in keinem anderen Bezirk war die Partei ansatzweise so erfolgreich. Mit 876 Mitgliedern ist Friedrichshain-Kreuzberg der viertgrößte Grünen-Verband der Republik. Gleich hinter Köln.

Friedrichshain-Kreuzberg, das ist Grünen-Land. Grüne Volkspartei? Hier längst Realität. Und die Bergmannstraße ist ihre Basis. Oder könnte es sein. Jeder zweite Anwohner wählte in der Straße vor fünf Jahren Grün. 2008 machten die Grünen das Ostende zur ersten Fahrradstraße im Bezirk. Bioläden, Yoga-Schulen, in kleinen Cafés wird frisch gepresster Orangensaft geschlürft. Auf Balkonen ranken wild Blumen. Fahrräder drängeln sich an Kinderwagen vorbei. Am Kinderladen hängt ein Fukushima-Anti-Atom-Plakat, am Obststand in der Marheinekehalle auch. "Hier wird ständig nach Bio gefragt", sagt die Verkäuferin. "Die meisten Kunden, würd ich sagen, wählen schon Grün."

Alle einig, fast

Einigkeit allüberall, so scheint es. Fast gleichlaut klingt, was die drei Großen in Friedrichshain-Kreuzberg - Grüne, SPD, Linke - im Wahlkampf fordern: bezahlbare Mieten, keine Verlängerung der A100, ein anwohnerfreundliches Spreeufer, mehr Kita-Plätze.

"Ganz so ist es nicht", hält Jan Stöß, Finanzstadtrat und SPD-Bürgermeisterkandidat, dagegen. Anders als die Grünen habe man die geplante Mercedes-Niederlassung am Spreeufer nicht blockiert, sondern begrüßt. 1.200 Arbeitsplätze seien so gerettet worden. Zudem, zielt Stöß auf eine Grünen-Kampagne, stehe die SPD für Offenheit und heiße "auch Touristen willkommen". Dass nach der Wahl wieder Grün regiert, hält die SPD nicht für ausgemacht. Die Partei, 2006 7 Prozentpunkte hinter den Grünen, verweist auf die Option einer Zählgemeinschaft, die etwa mit der Linken möglich sei.

Linken-Spitzenkandidat und Sozialstadtrat Knut Mildner-Spindler kommentiert die Idee zurückhaltend. Es sei berechtigte Sitte, dass die stärkste Fraktion den Bürgermeister stellt. Die Linke war 2006 der große Verlierer: Stellte man zuvor noch die Bezirksbürgermeisterin, stürzte die Partei bei der Wahl um 12 Prozentpunkte ab. Der Glaube, dies nun wieder wettzumachen, scheint verloren: Die Partei verzichtet auf einen eigenen Bürgermeisterkandidaten.

Stattdessen streicht die Linke Soziales heraus: mehr Kinderbetreuung, mehr altersgerechtes Leben. "Auch Schwächere und Kranke müssen hier ihren Platz behalten", betont Mildner-Spindler. Gerade Zugezogene seien in dem Punkt "sehr unsolidarisch".

Spannend bleibt der Bezirk auch, weil hier die Kleinen bisweilen groß sind - und umgekehrt. Ganze 8,8 Prozent holte die CDU vor fünf Jahren. Zweistellig soll es diesmal werden, sagt CDU-Bezirkschef Kurt Wansner. Wahlkampfschwerpunkt: mehr Sicherheit, weniger Krawall und Kriminalität im Bezirk.

Selbstbewusst geben sich die Piraten. Die haben im Bezirk ihre Stimmenhochburg: 6,2 Prozent waren es zur letzten Bundestagswahl - mehr als die FDP. "Mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung" fordert Spitzenkandidat Ralf Gerlich. Bewohner sollten online mitpolitisieren können, im Parlament als Experten befragt werden. Ein Bürgerhaushalt mit festem Budget müsse her. Mittels einer "BVV Leaks"-Plattform werde man bezirksrelevante Dokumente anonym ins Internet befördern. Gerlichs Wahlziel: "Das Bundestagsergebnis deutlich toppen."

Bleiben die Anarchos. Die Spaßpolitiker der "Partei" schicken Rapper der HipHop-Crew K.I.Z. ins Rennen. Die Bergpartei/Überpartei sucht mit dem Reggae-Kreuzberger PR Kantate, die Anarchistische Pogo-Partei Deutschland mit der "Entschwabisierung Kreuzbergs" den Weg an die Macht. 1 Prozent sollte drin sein, heißt es dort. KO

Die Klischees also stimmen. Hört man sich aber genauer um, verblasst die grüne Oase. Dann reden die Leute im Kiez über steigende Mieten. Früher, sagt die Verkäuferin der Biobäckerei, sei der Bergmannkiez alternativer, kinderreicher gewesen, auch grüner. "Von mir aus könnte die ganze Bergmannstraße Fußgängerzone sein. Aber das trauen sich auch die Grünen nicht."

Auch der Weinhändler, seit Jahren in der Bergmannstraße, schimpft. "Eine grüne Kuschelecke? Im Gegenteil: Der Kiez ist am Kippen." Die Mieten stiegen, Alteingesessene müssten wegziehen, es werde "nur noch die schnelle Mark mit Macchiato gesucht". Den Grünen könne man das eigentlich nicht ankreiden, sagt der Mann. Aber auch sie hätten der Entwicklung nichts entgegengesetzt.

Franz Schulz kennt diese Klagen. Sie kommen nicht nur aus der Bergmannstraße. Nicht von ungefähr hat der grüne Bürgermeister die Mietenpolitik zum Schwerpunkt seines Wahlkampfs erkoren. "Die Mieter erwarten, dass wir ihnen den Rücken stärken, zu Recht." Schulz zählt Mietkonflikte auf, in denen er persönlich vermittelt hat.

Es ist sein Fachgebiet. Milieuschutz und Zweckentfremdungsverbot sollen helfen. Strengere Auflagen, wenn Mietwohnungen zu Eigentum werden sollen. Am Ende aber, sagt Schulz, seien dem Bezirk die Hände gebunden. Weil Mietrecht vielfach von Land und Bund geregelt werde.

Schulz steht in einer Parkhaus-Etage in der Nähe des Kottbusser Tors. Ein freundlicher Juliabend. In blauen Müllsäcken kleistern Parteimitglieder mit dicken Pinseln Plakate auf Pappen. Hunderte stehen schon zum Trocknen aneinandergereiht. Ein Radio dudelt, es gibt Bionade und Bier. Franz Schulz kleistert im schwarzen Hemd mit.

62 Kandidaten stellen die Grünen im Bezirk zur Wahl - mehr als Linke, CDU und FDP zusammen. 82 Mitglieder traten der Partei allein seit Jahresanfang bei. Volkspartei? Schulz spricht lieber von "der ganzen Vielfalt des Bezirks", die seine Partei vertreten wolle. "Von der Wagenburg bis zum Seniorenheim."

Eine grüne Ökoinsel ist der Bezirk in den letzten fünf Jahren nicht geworden. Schulz verweist aber auf "echte, unbürokratische Bürgerbeteiligung". Es ist sein Steckenpferd: Sobald sich größere Konflikte auftun, lädt der Bürgermeister zu runden Tischen. Zum Künstlerhaus Bethanien, zum Spreeufer, zu Bäumen am Landwehrkanal. Manchmal wird dann über Jahre diskutiert, "um Kontroversen auch auszutragen" und Kompromisse zu finden.

Dann erzählt der Grüne von energetischen Sanierungen und seiner Idee, Abwasser zur Energiegewinnung zu nutzen. Und beim Thema Mieten habe man den Milieuschutz ausgereizt und die Ansiedlung von Hostels beschränkt. "35 bis 40 Prozent am Wahlabend wären schön."

Bei den Verfolgern warnt man vor einer absoluten Mehrheit für die Grünen. Schon heute neige die Partei dazu, alles alleine entscheiden zu wollen, mosern Linke und SPD. "Wir wollen keine bayerischen Verhältnisse mit grüner Machtarroganz, sondern einen bunten Bezirk", spöttelt Jan Stöß, 37-jähriger SPD-Bürgermeisterkandidat, ein hochgewachsener ehemaliger Richter. Selbst bei ihren Kernthemen hätten die Grünen keine Erfolge: Kaum neue Radwege, eine miserable Energiebilanz der Verwaltung, ein heruntergewirtschaftetes Wohnungsamt. "Der Bezirk ist nicht nur Kreativbranche und Ökomarkt", sagt Stöß.

Tatsächlich lief für die Grünen nicht alles glatt. Nach mehreren Pannen musste die von der Partei berufene Baustadträtin zurücktreten. Und als Franz Schulz einen Sonderausschuss zum Spreeufer einberief, stiegen die Investorengegner nach einem Jahr unter Protest aus.

Schulz scheint dieser Tage besonders eines zu sorgen: die Debatte über eine grün-schwarze Koalition auf Landesebene. Schulz weiß, dass das in Friedrichshain-Kreuzberg nicht gut ankommt. "Ich warne vor solchen Gedankenspielen", sagt er energisch. "Eine Koalition wäre nicht gut für die Grünen, auch nicht für die Stadt."

In der Bergmannstraße, dort, wo die Radler ruhig über den Asphalt der Fahrradstraße schnurren, steht Thomas Schön in seinem Brunnenatelier. Überall plätschert Wasser in kleinen Skulpturlandschaften um den gemütlichen Künstler. Die Bergmannstraße, sagt der 57-Jährige, sei grün, ja. "Aber zunehmend nur noch für die, die es sich leisten können." Auch er habe jahrelang die Grünen gewählt. "Weil das für Lebenswürde steht." Seit 17 Jahren wohnt und arbeitet Schön in der Straße. Ende September wird auch er gehen. "Zu teuer, ständig Baustellen vor der Tür." Dafür parken jetzt schicke Autos in der Nachbarschaft, auch Politiker ziehen in die Straße. Der letzte war ein Grüner. "Ein Selbstläufer wird die Wahl nicht", sagt Franz Schulz. "Wir müssen kämpfen, um jede Stimme."

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6 Kommentare

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  • DM
    der martin

    @ Ada Adler:

     

    zu Herrn Ströbele:

    Es ist richtig, dass Herr Ströbele nur bei Bundestagswahlen als Direktkandidat antritt. Das hatte ich eigentlich auch erwähnen wollen, ist mir aber anscheinend beim Schreiben irgendwie verloren gegangen. Danke für die Ergänzung. Trotzdem ändert das aber nichts an der Tatsache, dass er nunmal im Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg beheimatet ist und auf diesen auch einen nicht ganz unerheblichen Einfluss hat - auch wenn er bei Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus leider nicht kandidiert.

     

    zu Herrn Schulz:

    Es mag ja sein, dass er für Deinen (und zugegebenermaßen auch für meinen) Geschmack in den Mediaspree-Verhandlungen zu devot aufgetreten ist. Anscheinend war sein Auftreten aber dennoch dominant genug, dass ihm wie gesagt die Verantwortung für dieses Projekt entzogen wurde. Was wäre also passiert, wenn er, wie man es sich gewünscht hätte, noch dominanter aufgetreten wäre? Genau das gleiche, nur schon früher.

    Noch eine Ergänzung: Wenn Herr Schulz, wie im Artikel bschrieben, vor einer Koalition mit der CDU warnt, ist das ein weiterer Punkt, der ihn mir sympathisch macht.

     

    zu den Grünen insgesamt:

    Du hast vollkommen Recht, wenn Du schreibst, dass ein Berliner Senat mit Frau Künast, Frau Pop und Herrn Ratzmann nicht das Gelbe vom Ei wäre. Meiner Meinung nach sind die Grünen (sowohl auf Landes- als auch auf Bezirksebene) mittlerweile nichts anderes als eine CDU mit grüner Fassade. Gerade vor diesem Hintergrund bin ich der Meinung, dass die hiesigen Bezirksgrünen sich da noch angenehm abheben - allerdings eben auch nur dann, wenn man sie mit dem Rest dieser Partei vergleicht. Ich dachte, das hätte ich in meinem letzten Kommentar ausreichend betont.

     

    zu den Linken:

    Was Deine Kritik an den Linken angeht, kann ich Dir nur vollständig zustimmen. Von Wahlkampf ist bei ihnen nichts zu spüren (in meinem Wahlkreis habe ich noch kein einziges Plakat der Linken entdecken können). Und dass auch ihre aktuelle Politik Anlass zu Kritik bietet, sehe ich ebenfalls so. Immerhin sind sie ja amtierender Koalitionspartner der Regierungspartei SPD. Die Chance, die Berliner Poltik deutlich in die lnke Richtung zu verändern, haben sie leider kaum genutzt. Ausführlicher will ich mich zu den Linken hier jetzt nicht äußern, denn dann würde ich abschweifen. Schließlich geht es ja hier gerade nicht um die Linken.

     

    Fazit:

    Wen kann man denn als Linker noch guten Gewissens wählen, wenn einem die Linken nicht links genug sind, und die Grünen erst recht nicht? Die Piratenpartei? Tut mir leid, aber eine Partei, die jemanden zum Bundes(!)vorstand macht, ohne vorher genau hinzugucken, was für Ansichten dieser Mensch eigentlich vertritt, ist für mich absolut nicht wählbar. Hintergrund-Info (auch wenn ich damit dann jetzt doch irgendwie abschweife): Stefan König, der sich selbst den Künstlernamen "Aaron König" verpasst hat ("Aaron" heißt "der Weise, der Erleuchtete"), wurde zum Bundesvorstand gewählt. Erst dann wurde deutlich, dass er ein Rechtspopulist der übelsten Sorte ist. Nachdem sich die Partei intern fast zerfleischt hat über die Frage, ob man ein Parteiausschlussverfahren einleiten soll oder nicht, ist er kurz vor Ende seiner Amtsperiode aus der Partei ausgetreten. Er hat dann zusammen mit René Stadtkewitz und Marc Doll (die beide aus der CDU geflogen sind, weil sie selbst für diese Partei entschieden zu weit rechts sind), die Partei "Die Freiheit" gegründet. Und diese wiederum vertritt Inhalte, die sich von denen von "Pro Deutschland" kein bisschen unerscheiden. Wer´s nicht kennt: einfach mal "Aaron König" googeln, ist nicht schwer zu recherchieren.

  • AA
    Ada Adler

    @ der Martin

     

    Herr Ströbele ist nur auf Bundesebene wählbar, nicht auf der Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksebene.

     

    Nach meiner Erfahrung haben die Friedr.- Kreuzberger Bezirksgrünen leider kaum eigene sozial-ökologische Konzepte, z.B. in der Stadtentwicklungspolitik, die sie konsequent verfolgen. Das Bürgerbegehren zu "Spreeufer für alle" (Mediaspree versenken) hatten sie von Anfang an abgelehnt.

     

    Bezeichnend ist:

    Die Bezirksgrünen hatten, als die Weichen stellenden Entscheidungsprozesse anstanden für Mediaspree nicht mal daran gedacht, dass die BürgerInnen die Spreeufer selbst auch nutzen wollen (!) und das unbebaute Uferstreifen ökologisch wichtig für das Stadtklima sind. Außerdem waren sie wie so oft zu devot den Investoren und der Senatsverwaltung gegenüber. Insgesamt sind die Grünen zu angepasst an die Senats - (Stadtentwicklungs)politik und sie sind zu (Partei-)karriereorientiert.

     

    Herrn Bezirksbürgermeister Schulz ist sein Widerstand gegen die Mediaspree-Pläne erst nach dem erfolgreichen Bürgerentscheid eingefallen (das ist zu spät für einen Grünen) und er hat ihn zwischendurch auch wieder vergessen und mußte von der Initiative "Spreeufer für alle" öfter, auch im betreffenden Bezirksausschuss, daran erinnert werden.

     

    Alternative Anregungen und Forderungen kommen nach meinem Eindruck meist von Initiativen außerhalb der Partei.

     

    Deshalb sind viele engagierte Leute, die in ihrem Wohnumfeld dringend eine ökologische und soziale Politik wollen, von den Grünen enttäuscht. Diese Enttäuschung färbt auch auf die Landes- und Bundesgrünen ab. Denn man sieht ja hier im Bezirk konkret, was die Grünen machen, wenn sie regieren.

     

    Wieso sollte es auf Berliner Landesebene mit Frau Künast, die wie Herr Ratzmann u. Frau Pop (Fraktionsvorsitzende) auch noch mit der CDU koalieren will, besser werden?

     

    Ich schätze die Piraten kommen diesmal auf Bezirksebene in Friedr.-Kreuzberg auf über 5 Prozent, denn viele Leute werden diesmal wohl kleine Parteien wählen. Die Partei DIE LINKE hat ja offenbar bereits im Vorfeld völlig resigniert. Das im Wort Wahlkampf "kämpfen" steckt, haben sie anscheinend übersehen. Und auch sie steht ja leider nicht für eine glaubwürdige sozial-ökologische Politik. Auch bei ihnen herrscht ein trauriger Mangel an Konzepten und realer alternativer Politik.

  • DM
    der martin

    Ich selbst bin Friedrichshainer und möchte zu diesem Thema nun auch meinen Senfa dazugeben (nicht zu allen genannten Punkten, da ich mich bei vielen der genannten Problemen einfach nicht genug auskenne und kein sogenanntes gefährliches Halbwissen verbreiten will).

     

    Was die Grünen an sich angeht - auf Landes- und auch auf Bundesebene - ist es sicherlich zutreffend, dass sie mit Grün nicht mehr viel am Hut haben. Beispiele: Joschka Fischer, Gründungsmitglied, ist mittlerweile Vorstandsmitglied bei BMW, außerdem arbeitet er noch für Gazprom. Claudia Roth, damalige Managerin von Ton Steine Scherben, gibt heute Dinge von sich, da würde sich der arme Rio im Grab rumdrehen.

    Auf Bezirksebene in Friedrichshain-Kreuzberg finde ich die Grünen allerdings durchaus wählbar, auch wenn es sicher das eine oder andere an ihrer Politik auszusetzen gibt. Das liegt vor allem an zwei Personalien: Hans-Chritian Ströbele - meiner Meinung nach einer der letzten Grünen, der immernoch die selbe Poltik vertritt, für die diese Partei mal stand, und eben Franz Schulz.

    Auf Franz Schulz wurden mittlerweile zwei Anschläge verübt: der erste, schon ein paar Jahre her, zielte direkt auf seine Person ab. Unter seinem Auto wurde ein Molotow-Cocktail (vielleicht war es auch eine Auto-Bombe oder ähnliches, so genau weiß ich das jetzt nicht mehr) gezündet. Der zweite, zur Räumung der Liebig 14, zielte auf das von ihm geführte Bezirksamt ab. An der Fassade wurde ein Brandsatz gezündet, dazu der Schriftzug "L14" an die Wand geschrieben. Wenige Tage später erklärten die Besetzer der Liebig 14, dass sie damit nichts zu tun hätten und auch nicht wüssten, wer dahinter stecke. Schulz wiederum erklärte, dass er keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Erlärung habe. Er habe seit Monaten gemeinsam mit den Hausbesetzern versucht, eine Räumung zu vermeiden, der Hausbeseitzer Herr Beulker jedoch sei stur und zu keinem Gespräch bereit. Mit den Hausbesetzern habe er immer konstruktiv zusammenarbeiten können, ein solcher Anschlag passe nicht zu ihren Verhaltensweisen. Daraufhin wurde ihm von Herrn Körting und anderen Politikern des Berliner Senats vorgeworfen, er sympathisiere mit Kriminelllen usw. usf. Wenn ich mir nun vorstelle, ein solcher Anschlag wäre auf Leute wie eben Herrn Körting (Namen wahlweise ersetzen durch Sarrazin, Stadtkewitz, Junge-Reyer oder oder oder) verübt worden... die Reaktion wäre ganz sicher eine andere gewesen.

    Man mag ihm vorwerfen, dass er bei all seinen Bemühungen doch nicht viel erreicht hat: Die Liebig 14 ist trotz alledem geräumt worden, die O2-World ist gebaut worden, der Rest des Mediaspree-Projektes wird wohl ebenfalls gebaut werden, ... die Liste ließe sich fortsetzen. Jedoch haben all diese Themenfelder eines gemeinsam: Die jeweilige Gegenseite ist dermaßen übermächtig, dass ein Bezirksbürgermeister überhaupt nicht verhindern kann - ganz egal, wie sehr er sich bemüht. Bsp. Mediaspree: Schulz hat sich so lange dagegen eingesetzt, bis ihm die Verantwortung für dieses Projekt entzogen wurde - eben WEIL er sich so energisch dagegen eingesetzt hat. Es wurde zur Chefsache erklärt, und nun ist nicht mehr länger das Bezirksamt, sondern der Berliner Senat dafür verantwortlich.

     

    Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass ich ganz bestimmt kein Freund der Grünen bin - dass ich sie einmal derart verteidigen würde, hätte ich mir selbst nie träumen lassen. Aber diese Verteidigung beschränkt sich - wie eingangs ja bereits erwähnt - ausschließlich auf die Bezirks-Grünen.

  • AA
    Achim Appel

    Noch 'ne kleine Korrektur:

     

    Echte unbürokratische BürgerInnenbeteiligung mag in ausgewählten Fällen Franz Schulz' Steckenpferd sein, aber das seit nunmehr seit vier Jahren laufende, größte Mediationsverfahren im deutschen Sprachraum nicht nur zu den Bäumen, sondern zur "Zukunft Landwehrkanal" haben die BürgerInnen 2007 dem damaligen Verkehrsminister Tiefensee abgerungen.

     

    VertreterInnen des Bezriks F'hain-Kreuzberg und der vier anderen Bezirke, welche diese Bundeswasserstraße durchfließt, sind u.v.a. Mitglieder des Mediationsforums.

     

    Am 15. September wollen die beteiligten BürgerInnen von BI/Verein Innenansichten aus dieser Mediation geben.

  • AA
    Ada Adler

    Wer grün wählt, wird sich wohl mal wieder schwarz ärgern.

     

    Das Problem ist allerdings, das Abgeordnete anderer Parteien auch nur vereinzelt besser sind, so das eigentlich keine BVV-Partei im Bezirk wählbar ist. Trotzdem muss man die Grünen unbedingt realistisch sehen:

     

    Eine ökologische Stadtentwicklungspolitik, die für wegen der CO2 - Reduktion sehr wichtig für den Klimaschutz wäre, machen die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg nicht.

     

    Letzten Sommer wurden im Bezirk mitten in der Brut- und Vegetationsperiode knapp 300 Bäume gefällt, obwohl Baumfällungen in dieser Zeit laut Berliner Naturschutzgesetz nur in absoluten Ausnahmefällen erlaubt ist. Auch weisen Bürgerinitiativen dem "grün" regierten Bezirksamt immer wieder durch auf eigene Kosten erstellte teure Gutachten unabhängiger Baumgutachter nach, das Bäume erhalten werden könnten, die das Bezirksamt fällen will und dann meist auch fällt.

     

    Eine von den BürgerInnen einsehbare Online - Baumfällliste für Friedrichshain-Kreuzberg wurde von der BI "Bäume am Landwehrkanal" im seit 2007 andauernden Mediationsverfahren "Zukunft Landwehrkanal" erkämpft, in dem die Grünen (jahrelang in Gestalt von Frau Umweltstadträtin Kalepky und nun in Gestalt von Herrn Umweltstadtrat Pannhoff) nicht gerade durch praktisches Tun für den Erhalt der Stadtnatur im Bezirk am Landwehrkanal auffielen.Im Böcklerpark am Landwehrkanal ist bis heute noch kein neuer Rasen angelegt und die herausstehenden Baumwurzeln sind durch die Trittbelastung der Spaziergänger verletzungsgefährdet. (Für 80 Prozent der Bäume am Kanal sind die Bezirke zuständig.) Um am Maybachufer, die neue Riedel- Anlegestelle auch für emissionslose Solarboote und Ruderboote nutzbar zu machen, hat sich die den Grünen unterstehende Bezirksverwaltung nicht gerade ins Zeug gelegt: Es gibt sie immernoch nicht.

     

    Im Görlitzer Park kann man ebenso wie anderen Stellen sehen, das u.a. die Grünen (die anderen Parteien sind da nicht besser) hauptsächlich Fördergelder ausgeben wollen, wofür ist dabei offenbar leider eher unwichtig. Statt das Stadtgrün klimagerecht zu vegrößern, wurde eine teure steile unsinnige Treppe gebaut, eine überflüssige Öffnung in die Parkumgrenzung, Büsche wurden gerodet, in denen vorm Aussterben bedrohte Vögel brüteten. Sechs parteiunabhängie Bürgerinitiativen hatten gemeinsam schriftlich gegen die 400.000 Euro teure Umgestaltung protestiert.

    Heute werden zusätzlich noch enorm teure asphaltierte Wege (Kosten ca. 1 Mio. Euro) angelegt im Görli, obwohl die Leute auf weichen Wegen joggen und gehen wollen.

     

    Mit der BürgerInnenbeteiligung von der die Grünen stets schwärmen ist es im Bezirk leider (!) auch nicht weit her:

    Das "grün" geführte Bezirksamt informiert regelmäßig nicht über geplante Stadtentwicklungbausmaßnahmen (Beispiele: Fehlende öffentliche Auslegung von Mediaspree -Bebauungsplänen, Lohmühleninsel - Görlitzer Park -Pläne wurden verschleiert, Modellprojekt Möckernkiez am Gleisdreieck) und meist findet eine echte BürgerInnenbeteiligung nicht statt.

     

    Ich konnte auch noch keine soziale Politik der Grünen im Bezirk erkennen. Bei Jugendzentren wie dem Statthaus Böcklerpark wird eingespart.

     

    Wenn besetzte Häuser geräumt werden ist Bezirksbürgermeister Schulz dagegen und macht Runde Tische. Das ist gut. Für die Bethanienbestzer hat er sich auch eingesetzt. Aber das wars dann auch schon, oder?

     

    Die "Fahrradstraße Bergmannstraße" umfasst so ein extrem kurzes Stück der Bergmannstraße, das es wirklich lächerlich ist, dass dafür die Grüne Frau Hämmerling dem Grünen Herrn Pannhoff den "goldenen Lenker" als Preis verliehen hat.

     

    Gegen die hohe Arbeitslosigkeit fällt den Grünen offenbar auch nichts ein.

    Aber die Arbeitslosen sind den Grünen anscheinend egal:

    Die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus hat vor einiger Zeit bereits angekündigt, das sie die Sozialleistungen in Berlin noch weiter kürzen will. Außerdem will Frau Künast den ÖBS (Öffentlicher Beschäftigungssektor) abschaffen. Eine Alternative für die betroffenen Menschen hat die ehemalige alternative Partei allerdings nicht.

     

    Wer die Grünen heute noch für grün, sozial und gerecht hält, hat in den letzten Jahren (u.a. seit ihrer verheerenden Zustimmung zu Hartz IV und der Agenda 2010 im Bundestag) überhaupt nicht mitgekriegt, was für eine Politik die Grünen seit Jahren in Wirklichkeit machen.

     

    FAZIT: Wer grün wählt wird sich wohl mal wieder schwarz ärgern.

  • AK
    Armer Kreuzberger Blogger

    Ein paar Themen hat der regierungsnahe Artikel in der regierungsnahen taz übersehen: Wegzug der Familien mit Kindern aus Kreuzberg, die Kreuzberger Segregation in den Schülerschaften, die Schule der langen Wege, hohe Arbeitslosigkeit, Vordringen der Spielhallen, zu hohe Belastung durch PKW-Verkehr, wirtschaftliche Flaute, Vermüllung der Parks, mangelhaftes Radroutennetz, Bevorzugung Kreuzbergs gegenüber Friedrichshain. Zwar sind goldene Bad-Wasserhähne in den Milieuschutzgebieten mit Sicherheit VERBOTEN. ABER: der Bezirk hat von den Landes-Grünen für die Bermannstraße doch den Goldenen Lenker bekommen - ein ERFOLG unter den amigos verdes. Und ein guter Witz, denn für den Fuß- und Radverkehr könnte man gerade in diesem Bezirk ein bisschen mehr tun.