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taz Salon im Bremer LichtluftbadEmotionale Debatte

„Wie rassistisch sind wir?“, fragte der Open-Air-taz-Salon am Dienstag. Die Antworten des Bürgermeisters fielen anders aus als die der Betroffenen.

Emotionale Begegnung trotz Abstand: taz Salon im Bremer Lichtluftbad Foto: Kay Michalak

Bremen taz | „Mein Sohn hat anfangs nicht verstanden, dass schwarze Menschen auch in höheren Positionen arbeiten können“, sagt Virginie Kamche. Der Grund: Es fehlt an Vorbildern für Schwarze Kinder. Kamche ist Fachpromoterin für Migration und Diaspora des Afrika-Netzwerks Bremen und eine von vier Podiumsgästen beim ersten taz Salon nach der Coronapause. Das Salon-Thema „Wie rassistisch sind wir?“ steht seit Anfang Februar fest, kurz danach, am 19. Februar, wurden in Hanau zehn Menschen aus rassistischen Motiven ermordet.

Coronabedingt wird diesmal unter freiem Himmel diskutiert. Auf dem Podium im Lichtluftbad an der Weser sitzen neben Kamche Mariam Aboukerim, Black-Lives-Matter-Aktivistin, Bürgermeister Andreas Bovenschulte und Medine Yildiz, Gewerkschafterin und Betriebsrätin aus dem Bremer Landesvorstand der Linken. Die Wiese vor der Bühne ist voll, rund 70 Interessierten musste im Vorfeld abgesagt werden.

Yildiz betont, dass in einer jahrhundertealten rassistischen Gesellschaftsstruktur jeder und jede Teil dieses Systems ist. „Wir wurden von Medien und Kinderbüchern geprägt, die uns rassistisch sozialisiert haben.“ Wie rassistisch sind wir also alle? Struktureller Rassismus entstehe, wenn Ungleichheiten auf diese Weise etabliert und normalisiert werden, sagt Yildiz. Auf ihre Frage, warum nicht eine einzige Schwarze Person oder People of Color (PoC) im Senat säße, bestätigt Bovenschulte, dass rassistische Gesellschaftsstrukturen vor der Politik nicht haltmachten. „Der Senat ist kein Abbild der Gesellschaft.“

Dass Bovenschulte als weißer Mann nicht von Racial Profiling betroffen ist, wird auch bei der Diskussion um das neue Polizeigesetz deutlich. Racial Profiling ist darin zwar explizit verboten, anlassbezogene Kon­trollen jedoch sind es nicht. „In einer rassistischen Gesellschaft läuft das doch auf das Gleiche hinaus“, heißt es aus dem Publikum. Der Bürgermeister verteidigt das neue Gesetz als Schritt in die richtige Richtung.

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Medine Yildiz und Mariam Aboukerim legten den Zuschauer:innen das Buch „Exit Racism“ von Tupoka Ogette ans Herz. „Als Schwarzer Mensch oder Person of Color in einer rassistischen Welt aufzuwachsen erfordert Kraft und hat nicht selten traumatisierende Folgen“, schreibt die Autorin darin.

„Worte über Worte, aber was ist mit den Betroffenen?“, fragt Aboukerim und bittet Bovenschulte, ihr ins Gesicht statt ins Publikum zu antworten. Bovenschulte schaut beharrlich weiter nach vorne. Während Mariam Aboukerim erzählt, selbst jüngst Racial Profiling erlebt zu haben, wiederholt Bovenschulte, dass die Polizei nur einen Teil der Gesellschaft darstelle. Rassismus müsse aber überall bekämpft werden. „Die Polizei rauszugreifen würde den allgemeinen Ansatz verschwimmen lassen.“

Dabei steht für Bovenschulte in der Bekämpfung von Rassismus die körperliche Unversehrtheit an erster Stelle. „Dass bestimmte Menschen Opfer werden, muss klar bekämpft werden“, sagt er. Ob der Schutzauftrag, den die Polizei auch Schwarzen Menschen gegenüber hat, nicht eine Hervorhebung der Rolle der Polizei rechtfertige, steht als Frage an den Bürgermeister auf einer der vielen Karteikarten, mit denen sich das Publikum an diesem Abend beteiligt. Die Frage muss, wie viele andere, unbeantwortet bleiben – am Ende sind eineinhalb Stunden zu kurz, um alle zu beantworten.

Auch der Umgang der Landesregierung mit der Erstaufnahmestelle Lindenstraße ist Gegenstand vieler Karteikarten und bewegt die Gemüter. Bovenschulte springt seiner Kollegin Anja Stahmann (Grüne) zur Seite, der vom Flüchtlingsrat Bremen rassistische Äußerungen vorgeworfen wurden. Dieser Vorwurf sei kein gerechtfertigter politischer Angriff, so der Bürgermeister. Kurz zuvor noch hatte er bestätigt, dass rassistische Strukturen „uns alle“ beträfen.

Yildiz zweifelt an, dass Corona-Schutzmaßnahmen in einem Eliteinternat oder einer Seniorenresidenz vergleichbar umgesetzt worden wären wie in der Einrichtung für geflüchtete Menschen. Der Vorwurf sei gerechtfertigt, so Bovenschulte, „aber ich finde nicht, dass sich der Senat hier viel vorwerfen lassen muss“.

Für Kamche bedeuten rassistische Angriffe, dass es eigentlich schon zu spät ist. Sie plädiert dafür, Rassismus bei den Wurzeln zu packen, besonders im Bildungsbereich. Kamche hat selbst als Lehrerin gearbeitet. Das Schlimme an der Schule seien aber nicht die Kinder gewesen, sondern das Kollegium, erzählt Kamche. „Wenn man das Gefühl hat, dass man nicht dazugehört, dann tut das weh.“ Rassismuskritische Bildung müsse deshalb vor allem beim Lehrpersonal ansetzen.

„Es gibt bei der Bewertung in der Schule einen Unterschied zwischen Max und Murat“, betont auch Yildiz. Damit das nicht normalisiert würde, brauche es rassismuskritische Bildung. „Dass wir von Rassismus betroffen sind, macht uns nicht automatisch zu Expert:innen“, stellt Aboukerim klar.

Mit der konkreten Frage, wie rassistisch wir sind, tut sich das Podium sichtlich schwer. Aboukerim spricht von einem langen Weg. „Aber wir müssen lauter werden, sonst kommt nicht viel an.“ Jemand, der keine Rassismuserfahrungen gemacht hat, könne das vielleicht nicht verstehen, sagt Virginie Kamche. „Aber Rassimus ist tödlich.“

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