taz-Chefinnen über Machtstrukturen: "Hierarchien haben Vorteile"
Was unterscheidet die taz? Mit Organisationsforscher Kühl sprechen die zwei taz-Chefinnen über ungeschriebene Regeln, flache Hierarchien und was Zeitungen und Armeen eint.
Luise Strothmann: Herr Kühl, bisher war ich Volontärin bei der taz. Jetzt übernehme ich von Ines Pohl die Chefredaktion. Auch die anderen Ressortleitungen werden durch junge Kolleginnen und Kollegen ersetzt. Eine gute Idee?
Stefan Kühl: Auf den ersten Blick hat das etwas Karnevaleskes. Motto: Jetzt drehen wir mal für einen Tag die Machtverhältnisse um und schneiden dem Bürgermeister ganz frech den Schlips ab. Und in der nächsten Woche sind die Verhältnisse dann wieder wie vorher.
Strothmann: Unterschätzen Sie uns mal nicht.
Kühl: Aber in einer Woche trauen Sie sich nicht, etwas an den Strukturen innerhalb der taz zu ändern. Sie haben ja aufgrund der Begrenztheit der Zeit nicht die Kompetenzen, wirklich etwas zu verändern. Versuchen Sie mal, jemanden zu entlassen.
Strothmann: Vielleicht mache ich das ja.
Kühl: Zugegeben: Es hat durchaus seinen Charme zu schauen, wie sich ein Produkt dadurch verändert, wenn es mal von ganz anderen Leuten verantwortet wird als sonst.
Ines Pohl: In der taz gibt es Redakteure, Ressortleiter und eine Chefredaktion - kann man da von einer flachen Hierarchie sprechen?
Kühl: Der Begriff der "flachen Hierarchie" ist reiner Managementtalk. Ich finde es interessant, wie ihn immer mehr politisch links orientierte Organisationen übernehmen. Das Bekenntnis zur flachen Hierarchie scheint mittlerweile zur Schauseite jeder Organisation zu gehören. Es gibt staatliche Entwicklungshilfeorganisationen, die haben bei vorsichtigen Zählungen neun Hierarchiestufen, lassen sich aber gerne wegen ihrer vermeintlich "flachen Hierarchie" loben.
Pohl: In der taz ist das nicht nur eine Worthülse. Anders als in anderen Häusern ist es bei uns undenkbar, dass die Chefredaktion oder Verlagsführung inhaltliche Positionen vorgibt oder die Berichterstattung über bestimmte Themen verhindert.
Kühl: Aber wenn man sich die Entwicklung der taz über die letzten 31 Jahre anschaut, dann eignet sich ein einziges Wort zur Beschreibung: Hierarchisierung. Bei der Gründung war der Anspruch, eine Zeitung ohne Hierarchie zu sein. Aber dann schuf man eine Hierarchiestufe nach der anderen. Auch wenn die Hierarchien anders gelebt werden, alleine bei einem Blick auf das Organigramm kann man die taz kaum mehr von anderen Zeitungen unterscheiden. Da ist die taz typisch für eine ganze Reihe von selbstverwalteten Betrieben, die mit ihrem Wachstum zunehmend Hierarchiestufen eingerichtet haben - auch wenn sie sich nicht immer sofort getraut haben, diese auch so zu nennen.
Strothmann: Woran liegt das?
Kühl: Trotz ihrer anfangs politisch aufgeladenen Kritik an hierarchischen Strukturen scheinen die Macher der taz ja auch an der Hierarchiefreiheit gelitten zu haben. Man mag ohne die Basta-Kompetenz einer Chefin jeden Tag eine Zeitung herausbringen können, aber dies hat Auswirkungen auf die Qualität - sowohl auf die der Zeitung als auch die des eigenen Lebens.
Pohl: Wie meinen Sie das?
Kühl: Selbst Kritiker von Hierarchien merken, dass es Vorteile hat, wenn nach langen Diskussionen jemand eine verbindliche Entscheidung trifft. Dadurch wirken Hierarchien häufig auch konfliktmildernd, weil es für Auseinandersetzungen eine klare Stoppregel gibt: das Wort der Hierarchin oder des Hierarchen.
Strothmann: Warum sind "flache Hierarchien" eigentlich so positiv besetzt?
Kühl: In unserer Gesellschaft erscheinen Hierarchien immer weniger legitim. Im Gegensatz zum Mittelalter oder zur frühen Neuzeit gibt es in der modernen Gesellschaft keine Hierarchien, die die gesamte Gesellschaft dirigieren können. Die Wirtschaft, die Politik oder die Wissenschaft werden anders gesteuert: über Märkte, über Wahlen oder über akademische Debatten. In Organisationen hat sich das Prinzip der Hierarchie jedoch gehalten und das führt dann entweder zur Forderung nach deren Abschaffung - oder eben zu deren Kaschierung.
Pohl: Erklären Sie uns bitte einmal ganz schlicht: Welche Machtinstrumente hat ein Chef?
Kühl: Da ist zum einen die Exit-Macht, also die Macht, jemanden einzustellen und bei Fehlverhalten zu entlassen. Und zum anderen verfügen Vorgesetzte häufig über Karriere-Macht. Sie können maßgeblich über zukünftige Positionen entscheiden. Weil Vorgesetzte häufig zögern, jemandem mit Entlassung zu drohen, spielt die Karriere-Macht häufig sogar eine wichtigere Rolle.
Pohl: Die Macht von Chefs, jemanden zu entlassen, ist doch oft stark eingeschränkt.
Kühl: Das kann verschiedene Ursachen haben: Entlassungen passen nicht zur Organisationskultur. Das Arbeitsrecht schränkt Möglichkeiten ein. Oder starke Gewerkschaften setzen einen sehr weitgehenden Kündigungsschutz durch. Hierarchen, die nicht über diese Exit-Macht verfügen und ihre Mitarbeiter nicht über Karriereaussichten locken können, greifen dann nicht selten auf Mobbing von oben zurück.
Strothmann: Die Gewerkschaften sollen schuld daran sein, wenn Chefs ihre Angestellten mobben?
Kühl: Zugegeben: Das entspricht nicht dem üblichen Tenor der Mobbing-Literatur. Aber schauen Sie sich die Häufung von Selbstmordfällen in französischen Unternehmen an. Interessant ist, dass diese nicht in den kleinen, partriarchal geführten Unternehmen auftreten, sondern in Unternehmen mit starken Betriebsräten wie France Télécom oder Renault. In diesen Unternehmen gelten im Vergleich weitgehende Kündigungsschutzrechte für die Mitarbeiter. Zugleich hat sich aber der Leistungsdruck in den letzten Jahren enorm erhöht. Dies hat offenbar dazu geführt, dass Vorgesetzte mobben, um Mitarbeiter anzutreiben oder loszuwerden.
Strothmann: Sind Sie eigentlich ein Fan von Hierarchien? Ihr erstes Buch hieß "Wenn die Affen den Zoo regieren".
Kühl: Zumindest bin ich nicht so naiv, an das angebliche "Ende der Hierarchien" zu glauben, das manche Managementgurus gerne verkünden. Wenn man Hierarchien abschafft, muss man auch sagen, was die Folgen sind.
Strothmann: Und zwar ?
Kühl: In Unternehmen, in denen Hierarchien abgebaut oder gar abgeschafft werden, gibt es einen Effekt: die Machtkämpfe nehmen zu. Das kennt man auch aus K-Gruppen, selbstverwalteten Betrieben oder größeren Wohnprojekten.
Pohl: Reibung kann doch auch positiv sein.
Kühl: Lange Diskussionen und eskalierende Konflikte können intensive Gefühle auslösen, gerade wenn zwischen Privatem und Arbeit kaum Grenzen sind. Das auszuhalten erfordert viel Idealismus. Aber das Risiko der Erschöpfung ist hoch.
Strothmann: Dann lieber gleich: Wir da unten schuften für die da oben.
Kühl: Hierarchien können auch Kreativität unterdrücken oder die Motivation abwürgen. Aber manche Organisationen, vor allem solche, in denen schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen, brauchen Hierarchien. Denken Sie an Armeen im Kriegseinsatz. Oder Tageszeitungen kurz vor Produktionsende.
Strothmann: In der taz sind zwar die Ressortleiter allgemein deutlich jünger als woanders, trotzdem ist es eher die Ausnahme, dass Neue sich sofort intensiv an Diskussionen beteiligen. Wie kommt das?
Kühl: Neulinge sind in den ersten Monaten in einer Organisation damit beschäftigt herauszufinden, wie sie sich verhalten müssen. Was die geschriebenen und ungeschriebenen Spielregeln sind. Insofern spüren sie sehr schnell, dass in einer Sitzung zwar offiziell alle aufgefordert werden, ihre Meinung einzubringen; dass aber einige gleicher sind als andere.
Strothmann: Und was kann man dagegen tun?
Kühl: Ein Trick ist es, den vermeintlich Schwächeren Sonderrechte einzuräumen. Man fragt prinzipiell immer erst nach der Meinung der Neulinge oder schafft Experimentierfelder für sie. Die Woche bei der taz könnte so verstanden werden.
Pohl: Haben Sie einen Tipp für uns, wie wir von dieser Woche möglichst viel in den Alltag retten können?
Kühl: Schreiben Sie alle Punkte auf, bei denen es Konflikte gibt. Die Frage ist, ob die Leitung auf Zeit sich in diesen Momenten durchsetzen kann. Hierarchien werden nur dann interessant, wenn nicht sowieso alle einer Meinung sind.
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