taz Adventskalender (18): „Das Paradies interessiert uns nicht“
Die taz präsentiert in ihrem Adventskalender BerlinerInnen, die für etwas brennen. Hinter Türchen 18: Feride Gençaslan, gläubige Sufistin.
Ach, wollten nur mehr Menschen, wie ich will, die Welt wäre ein bisschen besser: Die taz präsentiert in ihrem Adventskalender BerlinerInnen, die für etwas brennen. Hinter Türchen 18: Feride Gençaslan, gläubige Sufistin.
taz: Frau Gençaslan, was bedeutet Sufismus?
Feride Gençaslan: Allgemein sagt man, Sufismus ist der mystische Islam. Der Sufismus ist also der spirituelle Lebensweg, der mit Respekt und Liebe eine friedliche Welt erreichen möchte und zu Gott führt.
Feride Gençaslan
38, hat an der Freien Universität Berlin Germanistik, Linguistik und Kunstgeschichte studiert. Sie ist seit 1994 Sufistin und seit 2014 die Geschäftsführerin des Sufi-Zentrums Rabbaniyya in Tempelhof.
Und wie genau möchte der Sufismus das schaffen?
Wir Sufis glauben, dass jedes Bild oder jede Bewegung genau so ist, wie Allah es will. Wir lieben jedes Geschöpf – weil es vom Schöpfer kommt. Darum bringen wir jedem Menschen und jeder Sache Respekt und Anstand entgegen. Und daraus erwächst dann die Liebe.
Das klingt ja sehr schön aber glauben Sie wirklich, dass das funktioniert?
(Lacht) Ja, das glaube ich. Unser Sufi-Zentrum Rabbaniyya hat das Motto: „Respekt säen, Liebe ernten“, und das versuchen wir täglich umzusetzen. Zu unseren Meditationen kann jeder kommen – egal, ob Sufi, Buddhist, Yogi, Christ oder Atheist. Uns geht es um die gute Gemeinschaft, mit der wir den kulturellen Austausch fördern und ein friedliches Zusammenleben erreichen wollen. Es geht darum, alles Äußere auszublenden und nur auf sein Herz zu hören. Mit dieser Liebe finden wir dann den Weg zu Gott – egal, welchem Glauben wir angehören.
Im Sufismus gilt es, das Paradies im Jenseits zu erreichen?
Wir Sufis interessieren uns weder für das Paradies als Belohnung noch für die Hölle als Bestrafung. Allah sagt: „Mit meiner Barmherzigkeit umfasse ich alles.“ Diese Barmherzigkeit und Gnade wollen wir jeden Tag ausleben – um Allah gerecht zu werden und nicht, um unsere eigene Seele nach dem Tod zu retten.
Der Sufismus legt den Islam sehr liberal aus. Wie reagieren andere Muslime darauf?
Vor allem Schriftgelehrte werfen uns vor, den Glauben zu locker zu nehmen. Sie sagen, wenn man so tolerant allen Religionen gegenüber ist, schwäche das den eigenen Glauben. Dabei hat der gelebte Sufismus mit Disziplin und Selbstbeherrschung zu tun. Wir sind tolerant gegenüber anderen, aber nicht tolerant gegenüber dem eigenen Ego.
Warum?
Wir Sufis sind gläubige Muslime, die Scharia ist unser Gesetz und dementsprechend befolgen wir die fünf Säulen des Islam. Darüber hinaus erinnern wir uns ständig Gottes als Herrn aller Welten und unserer Dienerschaft, indem wir Allah stets ehren und lobpreisen. Wir erkennen sein Licht in allen alltäglichen Dingen und begegnen daher jedem Menschen und jeder Sache mit Respekt. Denn der Sufismus hält sich an das Wort des Propheten Muhammed: „Liebe das Geschöpf um des Schöpfers willen.“
Interview Sophie-Isabel Gunderlach
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