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Ergebnis des DigitalgipfelsAbhängigkeit ist Mist

Kommentar von

Svenja Bergt

Trotz vieler wahrer Worte ist die Bilanz des europäischen Gipfels in Sachen digitale Souveränität mau. Absehbar ist eine deutliche Deregulierung.

Souverän im Digitalen? Bundeskanzler Friedrich Merz Foto: Christian Spicker/imago

D as Timing war perfekt. Da trafen sich am Dienstag in Berlin Delegationen aus diversen EU-Ländern zum Gipfel über digitale Souveränität. Und über den Tag fiel irgendwann auf, dass die Online-Plattform X und der KI-Chatbot ChatGPT nicht mehr richtig funktionierten – wegen einer Störung bei Cloudflare, einem wichtigen IT-Dienstleister aus den USA. Der Ausfall passend zum Gipfel sandte einmal mehr die Botschaft: Eine Abhängigkeit von wenigen marktbeherrschenden US-Anbietern ist ein Risiko.

Das weiß anscheinend auch Friedrich Merz. „Digitale Souveränität hat Kosten. Aber digitale Abhängigkeit hat noch höhere Kosten“, sagte der Bundeskanzler bei seiner Abschlussrede. Und: „Wir machen den Staat zum Ankerkunden für souveräne Arbeitsmittel in der öffentlichen Verwaltung.“ Zwei bemerkenswert klare Bekenntnisse. Die auf bemerkenswerte Art und Weise von der Realität konterkariert werden.

Wenn die Abhängigkeit von US-Tech so problematisch ist – warum arbeiten dann mehr als 90 Prozent der Beschäftigten in der Verwaltung täglich mit Microsoft-Produkten? Und warum hat sich die Bundeswehr dann jüngst gegen eine originär europäische, am besten noch Open-Source-Lösung entschieden, und für ein Cloudsystem mit Google?

Wenn Merz und sein französischer Kollege Emmanuel Macron, wenn dessen Digitalministerin Anne Le Hénanff und ihr deutscher Kollege Karsten Wildberger beim Gipfel über den Kern von digitaler Souveränität sprachen, dann ging es vor allem um eines: die Wirtschaft. „Innovationsführerschaft bei entscheidenden Schlüsseltechnologien“ will Merz. Schon im Vorfeld hatten sich die Verantwortlichen bemüht, viele hochkarätige Kooperationszusagen einzusammeln. 18 Partnerschaften zwischen europäischen Firmen standen am Ende auf dem Zettel, Milliardeninvestitionen sind geplant. Aber an zentralen Problem ändert das so schnell nichts.

Zum Beispiel daran, dass US-Behörden auf in Europa liegende Daten zugreifen können, wenn ein US-Unternehmen an der Infrastruktur beteiligt ist. Oder an der Meinungsmacht einer Plattform wie X, die noch immer wichtig ist für politische Debatten. Wer sich als Po­li­ti­ke­r:in nicht von Musks Algorithmen, die populistische und rechte Inhalte bevorzugen, treiben lassen will, braucht eine gute kognitive Resilienz.

Aber eine europäische Plattform auf den Weg zu bringen, gemeinwohlorientiert mit transparenten Algorithmen auf Basis offener Standards? Nein, so weit geht das Verständnis von digitaler Souveränität offensichtlich nicht.

Und ob die Ankündigungen und Vorhaben ausreichen, die europäischen Verwaltungen, Firmen und Nut­ze­r:in­nen in naher Zukunft zumindest weitgehend unabhängig zu machen von US-Tech-Anbietern? Eher unwahrscheinlich. Auch deshalb, weil die deutsche und französische Regierung schon im Vorfeld bei der EU-Kommission für weniger Regeln im Digitalbereich lobbyiert haben – in der Hoffnung, dass dann mehr Innovation entsteht.

Momentum für Souveränität

Und so stellt die Kommission just am Tag nach dem Gipfel ein Paket vor, dass genau diesem Ansinnen nachkommt. Und wer profitiert primär davon, wenn es weniger und weniger strenge Regeln gibt? Big Tech made in USA.

Dabei wäre jetzt das Momentum da, um Europas digitale Souveränität voranzubringen. Nicht im Sinne eines Ausschlusses von US-Anbietern, es gibt ja durchaus Bereiche, in denen die ganz Großen ihre Berechtigung haben. So kann etwa der Messaging-Anbieter Signal nachvollziehbar argumentieren, warum er auf Amazons Cloud-Dienst AWS setzt. Kurzform: riesige Datenmengen, die mit möglichst geringer Verzögerung übertragen werden müssen, zum Beispiel bei Videotelefonie, kombiniert mit starker Verschlüsselung – US-Behörden hätten hier also ohnehin nichts zu holen.

Aber die wenigsten Unternehmen und Behörden in Europa haben diese Anforderungen. Die meisten wären mit einem lokalen Cloud-Anbieter prima beraten.

Gut möglich also, dass folgendes passiert: In Behörden starten ein paar mehr Pilotprojekte mit Open-Source-Software. Ein paar Firmen probieren europäische Lösungen aus. Es fließen Milliarden in den Bau von Rechenzentren in Europa und in Künstliche Intelligenz. Alles Dinge übrigens, die man auch schon vor Jahren hätte auf den Weg bringen können.

Aber in drei Jahren, wenn Trump (hoffentlich) das Weiße Haus verlässt, liegen die Prioritäten hierzulande ganz schnell wieder woanders. US-Behörden können dann immer noch auf Daten europäischer Nut­ze­r:in­nen zugreifen. Big-Tech-Konzerne können immer noch freihändig ihre Preispolitik gestalten und wer hierzulande Kunde ist, zieht halt notgedrungen mit. Es wird immer noch genauso intransparent sein, wie viel Geld die öffentliche Hand an Microsoft zahlt.

Digitale Souveränität?

War da was?

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Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
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