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Das Gedenken an die polnischen Opfer des Zweiten Weltkrieges läuft im Deutschlandtempo voran. Ein provisorischer Stein, angestoßen aus der Zivilgesellschaft, darf seit Montag als Denkmal herhalten. Warum das nur ein Anfang sein kann

Einweihung des temporären Denkmals für die polnischen Opfer der deutschen Gewaltherrschaft, Berlin, 16. Juni 2025 Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Von Anastasia Zejneli

Achtzig Jahre zu spät, aber besser als nie. Das ist wohl das Motto der deutsch-polnischen Versöhnung. Ein Findling und ein Baum mit Blick auf den Bundestag sollen nun für maximal fünf Jahre an die NS-Gräueltaten während der deutschen Besatzung Polens im Zweiten Weltkrieg erinnern. Ein Projekt, das zeigt, was an der deutschen Gedenkarbeit falsch läuft.

Die Vernichtung während der NS-Zeit war beispiellos: Mehr als sechs Millionen Menschen, mehr als ein Fünftel der damaligen Gesamtbevölkerung, kam ums Leben. Davon allein drei Millionen polnische Juden und drei Millionen nicht-jüdische polnische Zivilist*innen, die Opfer deutscher Verbrechen wurden. Da sollte man meinen, dass sich Deutschland längst um eine Gedenkstätte gekümmert hätte. Stattdessen nun ein provisorisches Denkmal. „Ein Stein des Anstoßes“, wie es der Leiter des deutschen Polen-Instituts nennt.

Warum zeitlich begrenzt? Weil auch vor der Gedenkarbeit die Bürokratie keinen Halt macht. Im Deutschlandtempo berät die Bundesregierung über ein Denkmal und einen Gedenkort für die polnischen Opfer des Nationalsozialismus. Damit es mehr als nur eine weitere Stelle für Kranzablegungen deutscher Po­li­ti­ke­r*in­nen wird, soll neben dem Denkmal das Deutsch-Polnische Haus eröffnet werden.

Bereits 2013 forderte der frühere polnische Außenminister Władysław Bartoszewski, selbst Häftling im Konzentrationslager Auschwitz und Widerstandskämpfer, einen Gedenkort. 2017 entstand dann eine bürgerliche Initiative. Der Plan, das Denkmal mit einer Begegnungsstätte zu verbinden, ist richtig; sind in Deutschland doch das Interesse an den und das Wissen über die Verbrechen der Nationalsozialisten in Polen kaum vorhanden. Ein Ort, der den Blick in die Vergangenheit schärft und die Lehren für die Zukunft bewahrt, ist daher notwendig.

Doch der Traum vom Haus bleibt weiterhin eben nur eine Skizze in einer netten Broschüre zum Projekt – nicht mal der Standort ist beschlossene Sache.

Einerseits macht der Findling daher Hoffnung. Er ist das erste Ergebnis eines zähen Prozesses. Denn dass Deutschland seine Schuld anerkennt und danach handelt, hat viel zu lange gedauert. Warum hat es nicht schon früher Vorstöße in der BRD gegeben? Zumal nicht weit weg, in Friedrichshain, bereits 1972 ein DDR-„Denkmal des polnischen Soldaten und deutschen Antifaschisten“ errichtet worden war. Nur war es damals ein polnischer Verband, von dem die Initiative ausging.

Andererseits zeigt der provisorische Stein, wie schnell sich die Verantwortungen scheinbar verschoben haben. Zivilgesellschaftliche Akteure, allen voran das Deutsche Polen-Institut, haben sich auf unbürokratischem Weg gekümmert, Spenden gesammelt und eine Genehmigung des Berliner Abgeordnetenhauses eingeholt, für die fünf Jahre eben, die der Findling laut Auflage nun mahnen darf.

Dabei muss es auch für die gegenwärtige deutsch-polnische Beziehung weitergehen mit dem Deutsch-Polnischen Haus. Denn fragt man Deutsche nach ihren Assoziationen mit Polen, geht es meist ums Reisen, um günstige Preise und Gastfreundschaft.

Und andersherum? „Die Polen verbinden Deutschland und die Deutschen mit der schwierigen deutsch-polnischen Vergangenheit (jede fünfte Assoziation), insbesondere mit dem Zweiten Weltkrieg“. So steht es im Deutsch-polnischen Barometer für 2024.

Die Vernichtung während der NS-Zeit war beispiellos: Mehr als sechs Millionen Menschen, mehr als ein Fünftel der damaligen Gesamtbevölkerung Polens, kam ums Leben

Die Deutschen leben gern in der Gegenwart, viele Po­l*in­nen können auch gerade deswegen mit der Vergangenheit nicht ganz abschließen. Zu Recht. Während in Deutschland das Interesse an den Verbrechen der eigenen Nation schwindet, haben die Jahre unter der nationalkonservativen PiS-Regierung in Polen den Fokus der Beziehungen zu Deutschland auf die Gedenkarbeit und Forderung nach Reparationszahlungen gelenkt. Anti-deutsche Ressentiments in der politischen Rechten sind in Polen alltäglich. Premierminister Donald Tusk hat bereits das Image des „deutschen Agenten“ bei Anhängern der nationalkonservativen PiS inne.

Daher ist es wichtig, die Anliegen der polnischen Bevölkerung auch hier ernst zu nehmen und dem Nachbarn auf Augenhöhe zu begegnen. Denn wer laut dem deutsch-polnischen Barometer die Beziehungen in einem ungünstigen Licht sieht, bemängelt überwiegend die unzureichende Aufarbeitung der deutschen Kriegsverbrechen in Polen. Trotzdem schätze die Mehrheit den deutschen Nachbarn. Wie lang es angesichts der unzureichenden Gedenkarbeit so bleibt? Bisher haben wir wohl noch Stein gehabt.

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