talkshow: Kein Geknalle, keine Krawalle
In Wernigerode pöbeln Bürger:innen und ein CDU-Politker gegen Habeck, weil der Ehrenbürger werden soll. Doch dann bleibt alles friedlich
Aus Wernigerode Aron Boks
Rückblick, Mittwoch vergangene Woche: In Wernigerode soll es so richtig knallen. Die Energieministerkonferenz der Länder findet dort, in der Kleinstadt im Harz statt, und Robert Habeck kommt auch. Er soll sich in das Goldene Buch der Stadt eintragen. Online wird gewütet. Ich bin auch dabei im Schloss Wernigerode. Ich dachte, ich könnte einen Text über die bürgerkriegsähnliche Zustände in meiner Heimatstadt schreiben. Stattdessen: alles ruhig, alles gediegen. Habeck trägt sich in das Buch ein, entschuldigt sich sogar für den ganzen Trubel im Voraus. Gemeint waren die Hass-Parolen, die angekündigten Krawalle. Doch nicht mal eine Demo wurde angemeldet.
Hintergrund vor der Angst vor dem Knall war eine Stadtratssitzung mit Brügerfragestunde in Wernigerode. Darin vergleicht der Bundesvorsitzende der Querdenkerpartei Die Basis Habeck mit Hitler. Kurz darauf sagt der CDU-Fraktionsvorsitzende Winkelmann: „Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, mit diesem Mann in einem Raum zu sein“ – gemeint ist Habeck, das Video postet er auf Instagram. Die überregionalen Zeitungen reproduzieren diesen Satz immer wieder. Allen voran die BILD, der er noch versichert: „Der Schaden, der durch Habecks ideologiegetriebene Politik verursacht wird, ist inzwischen so groß, da kann ich nicht im Schloss stehen und Beifall klatschen.“
Eigentlich wurde in der Sitzung vor allem deutlich, wie weite Teile des Stadtrats eineinhalb Stunden lang versuchten im Dialog auf die anwesenden Bürger:innen einzugehen und wie eigenartig es ist, dass die Grünen-Fraktion aus Angst vor der Wut der Leute gar nichts sagt und die Linkspartei Kritik am Automatismus des Ehrenbürgerschafts-Vergabeverfahrens äußert. Aber nicht wie von der BILD behauptet aufgrund von Habecks Politik. Sondern weil möglicherweise bald AfD-Landesminister im Osten regieren und dann Ehrenbürger:innen werden könnten.
Wer die Sitzung gesehen hat, weiß, dass es eine Falschbehauptung ist, dass die Fraktionen ein Problem mit dem Eintrag Habecks in das Goldene Buch hat. Außerdem wäre auch deutlich geworden, dass nach demokratischen Schlichtungsversuchen im Rat, beinahe sachliche Dialoge begannen, bevor Winkelmann das Wort ergriff.
Durch die Verbreitung seines Zitates und das Verschweigen der Inhalte der Sitzung formte sich das Bild des empörten Ortes im Osten, in dem der Oberbürgermeister entgegen dem Willen der Bürger:innen den Empfang des Grünen Wirtschaftsministers genehmigt. Und das CDU-Korrektiv spricht das Machtwort „Mit uns nicht.“
Alle wollten mit Winkelmann sprechen, nochmal das good-old-Grünen-Bashing im Osten bestätigt wissen, ohne zu problematisieren, was hier eigentlich alles abgeht: Das Zusammenspiel eines menschenveerachtenden Troll-Hasses von Wutbürger:innen, denen Demokratie egal wird, gepaart mit unreflektierten Aussagen eines Fraktionsvorsitzenden der auf kommunaler Ebene Bock hat ein bisschen auf Merz zu machen.
Während kaum ein Blatt den Wirtschaftsminister Willingmann, der neben dem OB ebenfalls Teil der Stadtratssitzung vor dem wütenden Mob saß, fragt, wie der die ganze Sache eigentlich wahrgenommen hat, wird einzig und allein Winkelmann in der überregionalen Presse die Bühne geboten.
Dort arbeitet er nicht nur ganz im Stil seiner lauten Parteifreunde mit emotionalen Reizwörtern, “Heizungsgesetz“ und vagen Behauptungen “Robert Habeck schadet der Wirtschaft“, sondern lässt bewusst aus, dass das unter CDU-Begleitung überarbeitete Gesetz jemals in Kraft trat und demzufolge keinem einzigen Haushalt in Wernigerode oder sonst wo im Osten Deutschlands auch nur irgendeinen Schaden zugefügt hat.
Und während gerade Landesparteitag der CDU in Magdeburg ist, Parteichef Merz seine Lügen über Asylbewerber:innen, die den Deutschen angeblich die Arztplätze wegnehmen, damit rechtfertigt mal auf den Tisch hauen zu dürfen ohne, dass alle gleich ausrasten, frage ich Winkelmann per WhatsApp, wie er das jetzt meint, mit Habecks Schaden für Deutschland und seiner im Osten immer griffigen aber völlig unkonkreten Aussage gegenüber der FAZ “hier haben viele bei Null“-angefangen – welcher Zeitraum? Nach Corona? Nach der Wende?
Er verweist auf den FAZ-Bericht, wo ich aber keine Erklärungen finde.
Das meiste habe er schon ausgedehnt erklärt, schreibt er. Zugegeben, ich habe ihn direkt nach seiner Rückkehr vom Landesparteitag der CDU gefragt und er hat mir gesagt, dass er gerade mit seiner Familie Abendbrot gegessen hat. Ich wollte ja nur wissen, was nach dieser hitzigen Debatte noch so abgegangen ist. Also habe ich bei den anderen Fraktionsvorsitzenden angerufen.
Danach, sagen die, sind alle noch zusammen Grillen gegangen. Der Oberbürgermeister hatte eingeladen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen