piwik no script img

talk of the townEinsicht, die zu spät kommt

Um Geld zu sparen, hat Irland Untersuchungen zur Gebärmutterhalskrebsvorsorge in die USA ausgelagert. Viele Frauen erfuhren so nicht, dass sie krank sind

Aus Dublin Ralf Sotscheck

Das kommt davon, wenn man Teile des Gesundheitsdienstes privatisiert. Irlands Nationaler Krebsvorsorgedienst hat 2008 die Untersuchung von 300.000 Zervixabstrichen im Jahr an die US-Firma Quest Diagnostics übergeben.

Zwei Jahre später erhielt das texanische Unternehmen Clinical Pathology Laboratories den Zuschlag. Irische Ärzte warnten bereits damals, dass dadurch viele Fälle von Gebärmutterhalskrebs unentdeckt bleiben könnten.

Und sie behielten recht. Betroffen sind 208 Frauen, deren Vorsorgeuntersuchungen ein negatives Ergebnis erbrachten. Bei späteren Nachprüfungen stellte sich das jedoch als Irrtum heraus.

Solche Tests sind zwar nicht hundertprozentig akkurat, aber anstatt die Frauen umgehend über die falsche Diagnose zu informieren, bewahrte man jahrelang Stillschweigen. Die Direktorin des Vorsorgeprogramms „CervicalCheck“, Gráinne Flannelly, musste deshalb vorige Woche zurücktreten.

Ins Rollen gekommen ist die Sache durch die Klage von Vicky Phelan. Bei der 43-Jährigen aus Limerick hatte die Vorsorgeuntersuchung im Jahr 2011 angeblich ein negatives Ergebnis erbracht. Bei einer Nachprüfung drei Jahre später kam aber heraus, dass Phelan Gebärmutterhalskrebs hat.

Darüber informierte man sie jedoch erst im Herbst vorigen Jahres, weil die Ärzte ein Jahr lang darüber stritten, wessen Aufgabe es sei, ihr die schlechte Nachricht zu überbringen.

Das US-Labor einigte sich vorige Woche mit Vicky Phelan vor Gericht auf einen Vergleich und zahlte ihr 2,5 Millionen Euro unter der Bedingung, dass das nicht als Schuldeingeständnis gewertet werde. Phelan wird von dem Geld nicht mehr viel haben, sie hat nur noch wenige Monate zu leben.

Bei dem Verfahren kam auch die Privatkorrespondenz ans Licht, die die zurückgetretene Flannelly mit dem Gynäkologen Kevin Hickey aus Limerick geführt hatte. Darin riet sie ihm, die korrigierten Ergebnisse der Vorsorgeuntersuchungen zu den Akten zu nehmen, aber die Frauen nicht darüber zu informieren. „Das Konzept der Verzögerung ist wichtig“, schrieb sie damals. Im August vorigen Jahres entschied Hickey sich aber, einige der betroffenen Frauen zu informieren.

Auch ein Sprachproblem

Flannelly war damit einverstanden: „Es ist richtig, dass das klinische Urteil Vorrang haben sollte.“ Ob aber sämtliche 208 Frauen von dem falschen Ergebnis in Kenntnis gesetzt worden seien, könne sie nicht mit Sicherheit sagen, erklärte Flannelly vor Gericht.

Am Montag gab die Gesundheitsbehörde nach eingehender Prüfung der Fälle bekannt, dass 162 Frauen nicht informiert worden seien. Das solle bis Dienstag nachgeholt werden, sagte Tony O’Brien, der Chef der Behörde. 17 Frauen seien inzwischen gestorben, fügte er hinzu.

Irische Ärzte warnten früh, viele Krebsfälle könnten unentdeckt bleiben

Sam Coulter-Smith, der frühere Leiter des Dubliner Rotunda-Krankenhauses, des ältesten Entbindungskrankenhauses der Welt, hatte bereits 2008 davor gewarnt, die Tests an private Labore in den USA zu übertragen.

Es handle sich dabei nicht zuletzt um ein Sprachproblem, sagte Coulter-Smith: „Die Amerikaner benutzen völlig andere Begriffe, um Abstriche und Abnormalitäten zu beschreiben.“

Darüber hinaus seien für die Interpretation der Ergebnisse multidisziplinäre Teambesprechungen notwendig. „Mit einem Videolink über verschiedene Zeitzonen hinweg kommen zu den Sprachproblemen auch noch technische Schwierigkeiten“, sagte er.

Das zytologische System im Rotunda-Krankenhaus war damals hochentwickelt und führend in der Welt. Jedes Ergebnis wurde von einem weiteren Arzt überprüft. „Die Qualitätssicherheit war wesentlich höher als in den USA“, meint Coulter-Smith. „Deshalb sollte man die Untersuchungen wieder in Irland durchführen.“

Dafür könnte es inzwischen allerdings zu spät sein: „Viele Ärzte, die damals in der Zytologie arbeiteten, haben inzwischen auf andere Bereiche umgesattelt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen