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talk of the townDöner for none

Handelt es sich beim Angriff auf einen Imbiss in Zinnowitz um eine rassistisch motivierte Tat? Nein, es war Restaurantkritik, sagt die Polizei. Die Lesart eröffnet ganz neue Perspektiven

Zu viel Soße? Labbriges Brot? Zu viel Scharf? Sind Sie etwa nicht mit unserem Angebot zufrieden? Foto: Michael Probst/ap

Von Hengameh Yaghoobifarah

Vom Anschlag zur Böller-Attacke liegen manchmal nur ein paar sprachliche Feinheiten und ein bisschen Wohlwollen. Das zeigt jüngst ein Fall aus Zinnowitz in Usedom, wo ein 37-jähriger Mann betrunken einen „Polenböller“ auf in das Fenster eines Döner-Imbisses warf.

Bei der Explosion zersprang das Fenster, ein paar der Splitter landeten auch im Hintern des betrunkenen Täters, der daraufhin mit dem Rad ins zwölf Kilometer entfernte Krankenhaus fuhr. Immerhin: Verletzt hat er sich nur selbst und nur leicht, der Schaden beträgt 1.500 Euro.

Und die örtliche Polizei? Verkündet die Tat auf dem Twitter-Account fröhlich als aufgeklärt. Denn dem „Suff-Radler“, wie die Bild den Täter liebevoll nennt, sei kein rassistisches Motiv zuweisbar. Die Ermittlungen ergaben nicht etwa Parallelen zu rechtsextremen Angriffen auf migrantisch markierte Lokale, wie man sie seit Jahrzehnten größtenteils unbeteiligt in Deutschland beobachtet, sondern eine sehr simple und für die Polizei anscheinend sehr glaubwürdige Begründung: Er sei mit dem Service unzufrieden gewesen. Das Essen habe ihm nicht geschmeckt. Ach so!

Als hätte es eine Tradition der Verharmlosung von rechter Gewalt nie gegeben, steht es ganz außer Frage, ob der Mann im Sinne der Selbstjustiz als unzufriedener Restaurantgast gehandelt hat oder ob es nicht naheliegend sein könnte, dass es sich um eine politisch motivierte Tat dreht. Immerhin sprechen wir von einer Sprengstoffattacke mit in Deutschland nicht ohne Grund illegalen „Polen-Böller“ auf einen Döner-Imbiss. Zumal die Presse die Privatsphäre des Täters ernst nimmt und keine ethnischen Zuschreibungen bekannt sind, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass es sich dabei um einen weißen Mann handelt. Als weiterer fun fact tauchen in seiner Polizeiakte Eigentumsdelikte, Körperverletzung und das Auffallen durch das Tragen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen auf, wie Vice.de berichtet.

Das erinnert an die NSU-Morde. Auch diese wurden jahrelang zu innergemeinschaftlichen Bandenkriegen relativiert, anstatt miteinander verknüpft und vor einem nationalistischen, rassistischen, rechtsterroristischen Hintergrund betrachtet zu werden. Lange hießen sie nur die „Döner-Morde“.

Dass die Justiz und Presse rechtsextreme Verbrechen gerne stark banalisieren, verdeutlichen sie selbst immer wieder. Ein bisschen wie beim Attentäter vom Münchner Olympia-Einkaufszentrum zum Beispiel: Sein Amoklauf war laut CSU keine Konsequenz seiner rechtsextremen Ideologie, wie er sie in einem Manifest niedergeschrieben hatte, sondern schlichtweg ein Racheakt für das einst erlittene Mobbing.

Als gäbe es keine Tradition der Verharmlosung rechter Gewalt

Oder wie in Rudolstadt, wo die Polizei aktuell antisemitische Graffitis zu banalen Schmierereien von Fußballfans entpolitisiert. Wer da keinen „klaren Fußballbezug“ erkennt, übersehe das Offensichtliche.

Das eröffnet auf jeden Fall ganz neue Lesarten für Taten, die wir sonst nur in einem politischen Kontext betrachten. Schon mal darüber nachgedacht, dass die Autos in München neulich nicht aus Protest gegen Gentrifizierung angezündet wurden, sondern, weil sie schlecht geparkt waren? Vielleicht wurde die Hamburger Rewe-Filiale während der Proteste gegen den G20 ja auch nur geplündert, weil die Leute vom schlechten Sortiment frustriert waren.

Um in der Zukunft sicherzustellen, dass man ihm kein rassistisches Tatmotiv zuschreibt, könnte sich der Usedomer Attentäter, äh, Restaurantkritiker ja ein Vorbild an seinen Mitbürgern wie den Rappern Bu­shido oder Haftbefehl nehmen und Beschwerdebriefe schreiben. Dann geht es auch nicht so nach hinten los.

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