piwik no script img

szenen vor gerichtSolidarisches Kopfschütteln auf den Bänken

Polizeiliche Gewaltenteilung

Es geht um einen Schlag ins Gesicht, eine eindeutige Entgleisung. Es gibt ein Opfer, es gibt einen Täter, es gibt Zeugen: Am 27. März 1999 wurde die 40-jährige Berliner PDS-Abgeordnete Elke Baum auf dem Alexanderplatz von einem Polizisten mit dem Handrücken gegen die Schläfe geschlagen. Elke Baum hatte an jenem Tag im Rahmen einer Kundgebung ihrer Partei gegen den Krieg in Jugoslawien demonstriert.

Nachdem der Parteivorsitzende Gregor Gysi auf der Tribüne zu Ende gesprochen hatte, war es auf dem Platz zu Ausschreitungen zwischen Polizei und Kundgebungsteilnehmern gekommen. Elke Baum hatte den Polizeibeamten nicht provoziert; sie hatte nur vermitteln wollen, als eine Gruppe von Polizisten einen alten Mann festnahmen und wegtrugen; sie hat ihren Abgeordnetenausweis vorgezeigt und angefangen, beschwichtigend auf die Beamten einzureden, mehrere Menschen haben gesehen, wie ein Polizist der Politikerin daraufhin grundlos ins Gesicht geschlagen hat, Elke Baums Brille wurde dabei zu Boden geschleudert.

Nun, fast drei Jahre später, steht der 30-jährige Polizeibeamte Björn B. als Angeklagter vor Gericht. Der große Mann mit der kräftigen Statur muss sich wegen Körperverletzung im Amt verantworten. Um der Ernsthaftigkeit der Situation Rechnung zu tragen, hat er einen schwarzen Anzug angezogen. Als mentalen und psychischen Beistand hat er sich fünf Kollegen mitgebracht. Die stämmigen Männer sitzen stumm und breitbeinig auf den Zuschauerbänken. Eine Demonstration körperlicher Stärke, die einer Schau junger Zuchtbullen ähnelt. An diesem Tag werden die Zeugen vernommen.

Der 36-jährige Journalist André K. kann sich genau an den Vorfall auf dem Alexanderplatz erinnern, er stand wenige Meter entfernt. Damals hat er den schlagenden Beamten verfolgt, sich sein Gesicht eingeprägt und das Vergehen dem zuständigen Einsatzleiter der Polizei gemeldet. Bei einer späteren Gegenüberstellung hat André K. zudem den Angeklagten innerhalb einer Gruppe von 80 Kollegen eindeutig identifiziert. Björn B. sagt jedoch, er sei es nicht gewesen, die Männer auf den Zuschauerbänken schütteln solidarisch den Kopf.

Gegen den Angeklagten spricht, dass es keinen Grund gibt, warum der Zeuge André K. lügen sollte. Vor Gericht muss es freilich genau zugehen; damit Urteile später nicht angefochten werden, damit bei den Bürgern nicht der Eindruck entsteht, die Justiz entscheide nach Willkür. Die Richterin fragt den Zeugen André K. nach jeder Einzelheit. Er muss den Winkel beschreiben, den die schlagende Hand gezogen hat; er soll sich an die Schuhe des Angeklagten erinnern, der Staatsanwalt hat einen schwarzen Stiefel als Anschauungsmaterial mitgebracht; es wird besprochen, wo die Blumenkübel am Alexanderplatz stehen, wo sich die U-Bahn-Eingänge befinden. Der Einsatzleiter hat den Vorfall damals nicht gemeldet, als Zeuge verweigert er die Aussage. Es ist bekannt, dass Polizeibeamte ihre Kollegen bei Verfehlungen im Dienst oftmals decken. Während der Verhandlung übergibt der Rechtsanwalt, der Elke Baum als Nebenklägerin vertritt, dem Staatsanwalt eine Strafanzeige. Sie ist gegen den Einsatzleiter gerichtet und lautet auf den Verdacht der Strafvereitelung. Der Prozess gegen Björn B. wird am kommenden Donnerstag fortgesetzt. Elke Baum ist zuversichtlich, dass der Angeklagte verurteilt wird. Inzwischen hat sie ihr PDS-Mandat im Abgeordnetenhaus abgegeben und arbeitet als Kunsterzieherin in Treptow.

KIRSTEN KÜPPERS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen