stefan kuzmany über Charts: Wohin denn so eilig?
Richtige Orientierung ist ganz einfach: Man muss nur wissen, wo man hin will
Gehen Sie mir doch weg mit Falk-Plänen. Die Faltung mag noch so patentiert sein, aber macht sie das auch praktisch? Nein. Sie ist, davon bin ich überzeugt, nur ein sehr schlauer Schachzug des Falk-Verlages. Weil die spezialgefalteten Karten schon bei einem flüchtigen Blick einreißen, weil der ganze Plan nach zweimaliger Benützung bereits so zerfleddert ist, dass ich mir einen neuen kaufen muss. Und die Verlagsmanager reiben sich die Hände wie Gerhard Schröder nach der Vertrauensfrage. Wie soll man da ankommen, wenn das ganze Reisegeld für Stadtpläne draufgeht?
Zugegeben: Auch Gefilde, die ich eigentlich ohne Plan bereisen können müsste, bereiten mir große Schwierigkeiten. Biburg, ein Dorf in der Nähe von Fürstenfeldbruck mit nicht einmal tausend Einwohnern und noch wesentlich weniger Abbiegemöglichkeiten, gilt unter Einheimischen als völlig sicher vor Fahrfehlern. Was mich nicht daran hinderte, auf dem Weg von einem in Biburg wohnenden Freund zu einem anderen in Biburg wohnenden Freund falsch abzubiegen, mitten in einen Bauernhof hinein, unter großem Gelächter der Mitreisenden.
Was? Selber schuld, sagen Sie? Autofahren ist erstens umweltfeindlich. Und zweitens: Soll er halt nicht mit dem Auto fahren, der Idiot, wenn er es nicht kann? Ja, ja, und die Grünen sollten auch nicht regieren, meinen Sie wohl, denn das macht schlechte Menschen aus ihnen, wie jeder sehen kann. Dazu kann ich nur sagen: Ich hatte schwerwiegende Reformprojekte zu transportieren von Biburg nach Biburg, das ging nicht zu Fuß, und auch nicht mit dem Fahrrad, und ohne Auto wäre es eben tatsächlich so gewesen, dass die Reformprojekte auf der Strecke geblieben wären.
„Mit dem Auto? Dass das nichts wird, das hätte ich Ihnen schon vorher sagen können“, sagte der Wirt des Sonnenhofes in Damnatz an der Elbe, als ich spät, nach 22 Uhr, endlich in der Herberge angekommen war. Zweieinhalb Stunden vorher hatte ich mich in Dannenberg auf den Weg gemacht, nur mit einem Aral-Autoatlas von 1999 ausgerüstet. Ist doch gar nicht weit, keine zehn Kilometer Luftlinie, habe ich mir gedacht. Dass aber just an jenem Abend einige Castor-Behälter schnurstracks ihr Ziel in Gorleben erreichen sollten, und dass deshalb für Nichtstrahlende der Weg abgeschnitten war an jenem Abend, das hatte ich mir so konkret doch nicht ausgerechnet. Also geriet ich an Polizeisperre um Polizeisperre, an Beamte, die mich mal freundlich, mal unfreundlich, aber immer bestimmt dazu aufforderten, hier umzudrehen, denn es gehe hier jedenfalls für mich nicht weiter, keine Chance. Und, falls ich das fragen wolle, nein, sie kennen sich hier auch nicht aus, sind ebenfalls nicht von hier. Und jetzt drehen Sie bitte um.
Nach der ungefähr zwanzigsten Polizeisperre bog ich einmal links ab, und plötzlich war ich auf einer hell erleuchteten Straße voller Polizisten. Sie marschierten in Hundertschaften über den Asphalt, sie leuchteten in die Felder hinein, sie sicherten die Straße so sehr nach außen hin ab, dass sich keiner von ihnen mehr dafür interessierte, was eigentlich auf der Straße passierte. Ich war mitten auf der Castor-Strecke gelandet, meine Damen und Herren, falls das heutzutage noch irgendwen interessiert außerhalb von Gorleben – das diesmal nicht mehr ganz so „überall“ war, wie in den letzten Jahren. Irgendwann leuchtete mich doch noch ein irritierter Beamter mit seiner Taschenlampe an: Was ich hier denn verloren habe? Wohin ich denn unterwegs sei? Nichts und ins Bett, antwortete ich wahrheitsgemäß. Er hieß mich links abbiegen bei nächster Gelegenheit. Da musste ich von hinten eine Polizeisperre umfahren und durfte feststellen: Ich war wieder dort, wo mich die Polizei zum ersten Mal an diesem Abend aufgehalten hatte.
Wäre ich besser gar nicht erst losgefahren? Sondern zu Fuß, querfeldein, mit der außerparlamentarischen Opposition durch die Felder gehetzt, die Polizei auf den Fersen? Kann man nur am eigenen Ziel ankommen, wenn man die Regeln verletzt, sich außerhalb der Konventionen stellt? Das sind so Fragen, die man sich stellen kann, beim weiträumigen Umfahren von Gorleben. Und erst recht auf einem grünen Parteitag. Zum Glück wohne ich nicht in Gorleben. Noch größeres Glück: grünes Parteimitglied bin ich auch nicht.
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