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stefan kuzmany über AlltagLachen im Servicebereich

Polizisten können sehr zuvorkommend, freundlich und schnell sein – wenn es um ihren Job geht

Der Polizist war sehr freundlich – dafür, dass ich ihn gerade gestört hatte. Und ich hatte ihn gestört: Nach dem Anklopfen an der Tür von Zimmer 17 der Polizeiwache war statt eines markigen „Herein!“ ein aufgeschrecktes Rascheln zu vernehmen gewesen, so, als ob hastig eine Zeitung zusammengefaltet wurde, die auf einem Amtsschreibtisch während der Dienststunden nun wirklich nichts verloren hat. Und tatsächlich: Als ich dann, auch ohne „Herein!“, eingetreten war, segelte noch eine einsame Seite der BZ durch die erstaunlich frische Luft der Amtsstube. Der Polizist jedoch strebte schon durch den Raum zum Tresen, um sich meines Anliegens anzunehmen. Er war sehr freundlich, obwohl ich ihn doch gestört und nicht einmal sein „Herein!“ abgewartet hatte.

Es ist mir nämlich mein Geldbeutel gestohlen worden. Das ist beim Umzug geschehen: Wir waren alle an der Kellertreppe damit beschäftigt, ein schweres Sofa an einem am Treppengeländer festgeketteten Kinderwagen vorbeizubugsieren. Da musste jemand in die offene Wohnung im vierten Stockwerk gegangen sein und sich an meiner Jacke zu schaffen gemacht haben und an der Jacke eines Kollegen, der so freundlich war, mir an der Kellertreppe mit dem schweren Sofa zu helfen. Am Abend fehlten sein Mobiltelefon und meine Geldbörse mit 130 Euro, dem Personalausweis, dem Führerschein, dem Fahrzeugschein, der EC-Karte, der Bahncard und dem Presseausweis. Na gut, sagte zwar einer, der so tut, als sei er mein Freund, na gut, das Foto im Führerschein war sehr peinlich und auf dem im Personalausweis konnte man dich ohne weiteres für Dieter Zurwehme halten, sei doch froh, dass du neue machen kannst, hast du noch ein Bier? Na gut. Aber hier ging es ja wohl nicht um Eitelkeiten. Die ganze Angelegenheit war höchst ärgerlich. Wenigstens der Polizist war freundlich.

Er notierte meine Geschichte auf einem weißen Blatt Papier. Ob ich denn einen Verdacht hätte? Und ob ich einen Verdacht hatte! Während wir uns nämlich an der Kellertreppe mit dem schweren Sofa abmühten, beobachtete eine schöne Helferin, für die das Sofa zu schwer war, wie ein junger Mann aus dem ersten Stockwerk aufmerksam unsere Bemühungen betrachtete. Als er sah, dass die schöne Helferin zu uns gehörte, verschwand er ganz schnell. Wohin? Natürlich auf Beutezug! Zugegeben: Kein besonders stichhaltiger Verdacht. Aber der einzige. Und also besser als keiner. Sonst hat auch niemand das Haus betreten. Na gut: Niemand, den wir gesehebn haben.

Ich wollte gerade die Adressen des ebenfalls bestohlenen Kollegen und der schönen Helferin diktieren, da bemerkte ich, dass der Polizist kein Wort von dem schönen Verdacht auf seinem weißen Zettel notiert hatte. Offenbar sah er keinen Sinn darin, der Sache nachzugehen.

„Wir gehen der Sache nach“, sagte der Polizist. Er riet mir, noch einige Zeit abzuwarten. Es könne ja schließlich sein, und oft passiere es genau so, dass der Dieb das Bargeld nimmt und den für ihn unbrauchbaren Rest wegwirft und dieser Rest irgendwann irgendwo wieder auftaucht und mir von den zuständigen Behörden ausgehändigt werden kann. Das beruhigte mich. Ein wenig. Für den Moment.

Gerade als ich gehen wollte, hielt mich der Polizist zurück: „Wären Sie so freundlich, noch einen Fragebogen auszufüllen? Brauchen wir für unsere interne Statistik.“ Mussten Sie lange warten? Gar nicht, kreuzte ich an. War der Beamte freundlich und zuvorkommend? Sehr freundlich, kreuzte ich an. Sind Sie schon einmal Opfer einer Straftat geworden und haben diese nicht der Polizei gemeldet? Aber hallo, notierte ich. Wo haben Sie ihre Anzeige aufgegeben? Ich war etwas ratlos. Ich hatte eigentlich gar keine Anzeige aufgegeben. Ich hatte ja noch nicht einmal irgendwo unterschreiben müssen.

Na gut, taten wir mal so, als hätte ich. Dann waren die Auswahlmöglichkeiten immer noch verwirrend genug: „a) Polizeiwache, b) Polizeistation, c) Zentraler Servicebereich, d) Ich weiß nicht, wo ich mich befinde“, hm … eigentlich a). Ich fragte: „Das ist doch hier die Polizeiwache?“ – „Nein, das ist hier nicht die Polizeiwache. Das ist der Zentrale Servicebereich.“ Plötzlich bemerkte ich, dass da noch andere Polizisten im Raum waren. Drei insgesamt. Ganz still waren sie die ganze Zeit gewesen. Doch als die Worte „Zentraler Servicebereich“ fielen, erwachten sie plötzlich zum Leben. Sie lachten und lachten. Ich lachte auch, etwas nervös allerdings, und machte mich an die letzte Frage im Fragebogen: Gibt es einen Ort in Berlin, an dem sie sich besonders unsicher fühlen? Ja, hier, notierte ich. Die Polizisten lachten noch immer. Ich wollte den Fragebogen zusammenfalten und in eine Urne stecken. Aber es gab keine Urne.

Fragen zum Alltag?kolumne@taz.de

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