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stammzellengesetzEin schlechter Kompromiss

Das Stammzellengesetz hat im Bundestag eine große Mehrheit bekommen. Der Import des umstrittenen menschlichen Rohstoffs wird unter strengen Auflagen und nach sorgfältiger „ethischer Prüfung“ erlaubt sein, wenn die Stammzellen vor dem 1. Januar 2002 kultiviert wurden.

Kommentarvon WERNER BARTENS

Es ist erstaunlich, wie viele Politiker den diffusen Heilversprechen einiger weniger Wissenschaftler Glauben geschenkt haben. Etliche Wechsel auf die Zukunft wurden ausgestellt. Mit der fernen Aussicht auf Therapie lassen sich offenbar auch Leute aktivieren, die seit Jahren für die immer eklatanteren Defizite und Schwächen im Gesundheitswesen keine Lösung finden.

Dabei sind die Ressourcen dort knapper denn je. Alte Leute und chronisch Kranke sind in Deutschland medizinisch unterversorgt, wie der letzte Bericht des Sachverständigenrats in drastischen Worten festgestellt hat. In diesen Bereichen besteht Nachholbedarf – nicht aber in der Finanzierung von Wolkenkuckucksheimen ehrgeiziger Grundlagenforscher. Trotzdem wird jetzt der Weg für eine kostenintensive Forschung gebahnt, deren Erfolg auch Fachleute massiv bezweifeln. Andere Politiker mögen bei ihrer Entscheidung für das Stammzellengesetz dem Gerede um den Wissenschaftsstandort Deutschland Priorität eingeräumt haben. Dabei spielt die Bundesrepublik in der Forschung längst nicht mehr in der ersten Liga, und die wenigen Spitzenkräfte, die es gibt, haben längst zu lukrativeren Bedingungen an besser ausgestattete Institute ins Ausland gewechselt. Insofern mag die Regelung zum Stammzellengesetz gut gemeint sein – gut gemacht ist sie nicht.

Tatsächlich ist die Regelung ein Zwitter. Für die Hand voll deutscher Wissenschaftler, die sich wirklich intensiv mit embryonalen Stammzellen befassen, bleibt sie zu restriktiv. Sie werden – wegen der einfacheren Handhabung und den weniger strengen Auflagen – auf andere Forschungsschwerpunkte oder ins Ausland ausweichen müssen. Sei’s drum. Für die Gegner der Stammzellenforschung lässt das Gesetz dagegen zu viele Hintertürchen offen, besiegelt den Dammbruch in der medizinischen Forschung und weicht ehemals feste ethische und moralische Positionen weiter auf. So hilfreich Kompromisse ansonsten sind – in diesem Fall bietet der vermeintliche Mittelweg weder für die Wissenschaftler noch für die Gegner der Stammzellenforschung einen praktikablen Ausweg.

Werner Bartens ist Arzt und Redakteur der Badischen Zeitung

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