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spd-familienpolitikKinder als Pfand in Frauenhand

Es ist ein starkes Thema – und deswegen blieb der Leitantrag zur Familienpolitik auf dem SPD-Parteitag in Nürnberg so schwach. Darin heißt es, eine Kommission solle „prüfen“, ob das Erziehungsgeld erhöht werden kann. Die SPD will eine Umgestaltung des Ehegattensplittings zu Gunsten von Eltern „anstreben“, eine möglichst kostengünstige Kinderbetreuung ist „langfristiges Ziel“. Die Formulierungen sind seicht, weil sich dahinter knallharte Fragen materieller Umverteilung verbergen. Und die sind ungelöst.

Kommentarvon BARBARA DRIBBUSCH

Für die Frauen ist mit der besseren Förderung der Elternschaft jedoch eine noch viel tiefere Verteilungsproblematik verknüpft. Es geht nicht nur um ein bisschen mehr Geld hie und da, sondern um die Verteilung von Glückschancen. Wie alle Umfragen zeigen, stehen das Kinderhaben und ein befriedigender Beruf ganz oben auf den Wunschlisten der meisten. Die Entscheidung, der sich viele Frauen gegenübersehen, nämlich auf Kinder zu verzichten, wenn sie einen angemessenen Arbeitsplatz haben wollen oder umgekehrt, diese Entscheidung ist eine gesellschaftliche Grausamkeit. Keine Frau sollte heute mehr dazu gezwungen werden. Deswegen ist es in der Tendenz richtig, dass die SPD einen Schwerpunkt auf eine bessere Förderung von Kinderbetreuung setzt.

Mehr Optionen für Mütter – nur so lässt sich künftig eine vernünftige Politik für mehr Nachwuchs machen. Auf die Männer zu setzen, so zeigen die jüngsten Erfahrungen, bringt dagegen wenig. Es gibt keine moderne Gesellschaft, in der Männer tatsächlich in statistisch erheblichem Umfang auf berufliche Chancen verzichten, um sich mehr dem Nachwuchs zu widmen. Verzicht passt nicht in das Wertesystem der Wettbewerbsgesellschaft. Also kann die Lösung nur heißen, neue Optionen für ehemals Benachteiligte, nämlich die Frauen, zu eröffnen.

Es ist aber nun keineswegs so, dass sich die Politik aus moralischen Gründen plötzlich so brennend für die Glückschancen der Frauen interessiert. Die neue Familienpolitik hat vielmehr materielle Gründe: In der Wirtschaft droht ein Mangel an Nachwuchskräften, in den Sozialkassen an Beitragszahlern. Kinder sind heute das Pfand in Frauenhand. Diese Art der Verkettung von wirtschaftlichen Wachstumszielen mit den privaten Lebenswünschen der Frauen ist die historisch neue Verbindung. Und nur sie sorgt für Druck in der Familiendiskussion – auch bei den Sozialdemokraten.

brennpunkt SEITE 4

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