sein! nicht nicht sein!: Schlingensief probt Hamlet (4)
Köpfe in Bewegung
In Zürich inszeniert Christoph Schlingensief „Hamlet“ mit aussteigewilligen Rechtsradikalen. Der Hauptdarsteller Sebastian Rudolph schreibt über die Proben und die Schweizer Erregung anlässlich des Projekts, das am 22. Mai beim Berliner Theatertreffen gezeigt werden wird.
Das ganze Wochenende waren wir von morgens bis abends im Theater, nur unterbrochen von Pressekonferenzen und komaartigem Schlaf. Abgesehen von dem begrüßten Medienspektakel macht sich allerdings ziemliche Feindseligkeit gegen unser Projekt breit. Der Filmemacher, Produzent und Schauspieler Peter Kern, der bei uns den Claudius spielt, wird in seiner Heimatstadt Düsseldorf von der dortigen Presse als Nazisympathisant gebrandmarkt, und auch hier in Zürich wird uns vorgeworfen, den Nazis ein Forum zu verschaffen und von ihnen benutzt zu werden.
Die Frage ist natürlich, wie man sich mit jemandem auseinander setzen soll, ohne dass man ihm ein Forum zugesteht. Und benutzen, das war von vornherein klar, tun wir uns gegenseitig. Zielsetzung war, dass die Teilnehmer sich neben einer klaren Abgrenzung von Rassismus, Gewalt und Antisemitismus keinem Bürgerabitur unterziehen müssen. Wir sind ja hier, um Köpfe in Bewegung zu bringen. Und das passiert auch. Ich glaube, die vergangenen Tage haben alle sehr verstört, auf beiden Seiten. Diese Leute beeindrucken mich durch den Mut, sich uns zu stellen, und durch die Kraft ihrer Sehnsucht und dadurch, wie sie sich von uns und der Theaterbühne beeindrucken lassen. Da sitzt mir ein Mann gegenüber, der mich in zwei Minuten ins Krankenhaus befördern könnte und dem vor Aufregung anderthalb Stunden die Nase blutet; ein Mädchen, das nach zwei Tagen das erste Lächeln über die Lippen kriegt; und einer, der uns eigentlich total krank findet, aber es bedauern muss, dass er uns nicht hassen kann.
Nach drei Tagen möchte ich fast alle am liebsten einfach in den Arm nehmen. Vielleicht bedeutet ja die Sehnsucht nach Heimat und Nationalstolz nichts anderes, als einen Platz zu finden für sich selber, einen Arm, einen Punkt von Sicherheit. Wie viel Kameradschaft und wie viel Einsamkeit diese Leute ausstrahlen und wie große Konfusion! Das wird schon daran deutlich, dass die meisten von denen, die wir hier kennen gelernt haben, mit Linken oder Punks in Kontakt sind oder selber welche waren. Die Grenzen in den extremen Bereichen sind scheinbar sehr fließend.
Natürlich ist das auch alles Sozialkitsch, weiß der gesunde, zynische Mitteleuropäer, und den Momenten großer Nähe folgt unweigerlich die Ablehnung in der politischen Auseinandersetzung oder das Kopfschütteln darüber, wie in der Gruppe jedem Andersdenken ein Riegel vorgeschoben wird. Aus dem Ausstieg darf es auch keinen Ausstieg mehr geben. Aber ich habe selten etwas gemacht, bei dem ich so wenig wusste, wohin es führt, und trotzdem so überzeugt war, dass es gut ist. Die Leute, die mir jetzt sagen, sie wüssten, wie es geht, oder die glauben, man könnte seinen Keller aufräumen, ohne selber dabei dreckig zu werden, für die habe ich im Moment nicht mehr viel übrig.
SEBASTIAN RUDOLPH
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