schnittplatz : Offener Vollzug
Wer zu offen ist, kann nicht mehr ganz dicht sein. Willkommen beim Offenen Kanal Berlin (OKB). 73 offene Kanäle gibt es in der Bundesrepublik, in Berlin werden seit fünfzehn Jahren selbst verantwortete Fernseh- und Radiobeiträge ins Kabel eingespeist. Hier haben Bürger eine Frequenz, auf der sie ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen können – und das ist eine verdammt ernste Sache.
In jüngster Zeit ist der Ton schärfer geworden, da die Medienanstalt Berlin-Brandenburg erwägt, dem OKB seine Frequenz zugunsten des neuen Nachrichtensender N 24 wegzunehmen. Seitdem sind die Macher in heller Aufregung und sehen bereits „die Abschaffung der Demokratie“ voraus. Mithin das Aus für politische Splittergruppen, die sich hier ebenso produzieren durften wie der Heimatmusiker mit seinem Schifferklavier oder die Ex-Finanzbeamtin mit dem Schröder-Tick.
Tatsächlich gibt’s beim OKB statt virtueller Welten nur eine demokratische Backsteinwand. Davor steht dann eine ergraute Dame und redet so klangvoll wie ziellos von Gott und der Welt, von sich selbst und Kanzler Schröder. Den möchte sie in Schutz nehmen, gegen „die Kritik, mit der er in seiner sicher nicht leichten Arbeit konfrontiert ist“. Denn „ich war ja auch einmal politisch tätig“, in den Siebzigerjahren als Schreibkraft im Finanzministerium der DDR. Aber eigentlich „geht es mir um Sachverhalte, die ich in meiner Sendung sprachlich ausdrücken möchte“ – so konfus und pflegebedürftig geht’s weiter – die wenigsten, die sich derzeit fürs Bürgerfernsehen berufen fühlen, sind es auch. Momentan aber kommunizieren die Sendungsbewussten vom OKB rein gar nichts. Spiegeln sich höchstens selbst und produzieren dabei ein penetrant charmefreies, debil-bürgerliches Hintergrundrauschen. Offener Kanal oder N 24? Es ist, zum gegenwärtigen Zeitpunkt, die Wahl zwischen Skylla und Charybdis.
ARNO FRANK
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