re:publica 2014, der 3. Tag: Die Orte des Internets
Wo das Netz sichtbar wird, wie Geld für die Marihuana-Legalisierung versteuert wird und warum das Publikum eine Dusche bekommt.
Was für den ersten und zweiten Tag gilt, gilt auch für den dritten Tag der größten Internetkonferenz Europas: Die Veranstaltungen, die auf rund 15 Bühnen parallel stattfinden, lassen sich auch zu zweit nicht komplett erfassen. Trotzdem geben wir weiter, was wir heute gelernt haben.
1. 50 Shades of Grey war eine Fan-Fiction zur Vampirsaga „Twilight“. Und die 50-Shades-Autorin wisse durchaus, dass sie da ziemlichen Schund geschrieben habe, sagt Yasmina Banaszczuk aka Frau Dingens bei ihrem Talk „I will go down with this Ship“, in dem es um Fandom geht, die ausgeprägte Verehrung von Popkulturerzeugnissen, den Austausch darüber mit Gleichgesinnten in Internet-Foren, auf Treffen, durch Fan-Art (also: selbst gemachte Derivate und das Weiterspinnen des Originals).
Frau Dingens erklärt die integrative Kraft des Fandoms, was Shipping, Headcannon und OTP sind. Und, noch was gelernt: Dass die Schauspieler der TV-Serie „Glee“ vertraglich verpflichtet sind, in der Zeit zwischen den Drehs immer wieder mal zu Fan Conventions zu fahren.
2. Das umfangreichste Wörterbuch der deutschen Sprache haben Jacob und Wilhelm Grimm geschrieben. Es enthält 350.000 Einträge. Das letzte Wort ist Zypressenzweig. Krass haben die Brüder das nicht gefunden. Das hatte nämlich damals die Bedeutung plump, grob, derb, arg, schrecklich. Diese und weitere Begriffsfundgruben im Internet stellt Wibke Ladwig vor – zur Wortschatzerweiterung.
„Es gibt keinen Sprachverfall, sondern einen Sprachwandel“. Trotzdem empfielt sie alte Begriffe wiederzubeleben, neue zu schöpfen oder benutzte Begriffe genauer zu betrachten. Twitteraccounts und Seiten wie „Das tägliche Wort“, „Kunstworte“ oder „Der Atlas der deutschen Alltagssprache“ helfen dabei. Das liebste neu erlernte Wort des Vortrags: blümerant.
3. In San Luis Obispo, Kalifornien, steht die größte Wand der Welt, an die Kaugummis geklebt werden. Das hat Moritz Metz bei seiner Suche danach „Wo das Internet lebt“ herausgefunden. Metz hatte das für ein Radiofeature gemacht, das es auch bei Arte Future als Audioslideshow gibt, er wollte begreiflich machen, dass das Internet sich zwar wie eine ortlose Wolke anfühlen mag, in echt aber immer noch an physisch vorhandene Infrastruktur gebunden ist.
Also schaute er in seinem Berliner Haus einem Internetklempner über die Schulter, suchte in Frankfurt den größten Internetknoten der Welt, wo er aber nicht rein durfte und eine Seekabelstelle, an der ein Drittel des pazifischen Internetverkehrs abgewickelt wird.
Metz fotografierte das Wohnhaus von Google-Chef Larry Page („Ich dachte mir: Er hat Fotos von unserem Haus gemacht, da kann ich ja auch welche von seinem machen“), trank in Kronstorf in Österreich Apfelmost mit dem Hackerbauern, der Millionär geworden ist, weil er seinen Acker an Google verkauft hat und besuchte im Felsen von Gibraltar das Rechenzentrum, in dem fast alle Online-Casinos und -Wettbüros residieren. Das ist alles sehr unterhaltsam und nebenbei lernt man noch etwas: Die Duschen der Hamburger Müllmänner werden mit der Abwärme des Rechenzentrums der Stadt gewärmt.
4. Die Inszenierung der re:publica zum Motto „Into the wild“ stimmt bis ins kleinste Detail. Es ist der dritte Nachmittag, später gibt es eine Party. Die Stimmung ist gut, alle sind entspannt. Das Publikum sitzt, lauscht einem Vortrag in einer Halle ausgestattet mit Stühlen, Wänden und Dach. Das Risiko von den Naturgewalten erwischt zu werden, ist eher gering. Wenn der halbe Saal der Stage 5 trotzdem plötzlich unter einer Regenwasserdusche steht, und es auf das Publikum herunterrieselt, hat vielleicht jemand verpennt, die Dachfenster zu schließen. Vielleicht ist es aber auch eine der wunderbaren kleinen Überraschungen, die die Veranstalter so vorgesehen haben.
5. Es gibt einen Trick, auf Facebook nicht gefunden zu werden. Seitdem Facebook seine Privatsphäreeinstellungen im Herbst 2013 geändert hat, ist es unmöglich nicht mehr gefunden zu werden. Wer den Namen kennt, findet auch das Profil. Mit dem „Super-Log-off“ könne man diese neue Regelung umgehen, sagt Kixka Nebraska.
Man muss für ein Log-Off Facebook sagen, dass man das Profil löschen will. Facebook löscht nicht, sondern deaktiviert das Proful für mehreren Wochen. Und erst wenn man sich in dieser Zeit nicht einloggt, wird das Profil offiziell gelöscht. In dieser inaktiven Zeit kann man nicht gefunden werden, und niemand kann etwas auf die Pinnwand posten. Man erlangt mehr Kontrolle über sein Profil. Und bein nächsten Einloggen ist alles wie immer.
Wer noch mehr Kontrolle möchte, bei Twitter oder auch woanders, kann Apps benutzten, die seine eigenen Posts nach einer bestimmten Zeit wieder löschen. Denn nicht alles, was ins Internet gestellt wurde, soll auch für immer da bleiben. Leider seien fast alle Anwendungen bisher unausgereift, kompliziert oder ließen sich umgehen, sagt Nebraska. Wie Snapchat, ein Nachrichtendienst, der die gesendeten Informationen nach wenigen Sekunden löschen soll, was man mit einfachen Screenshots umgehen kann. Deswegen führen wir sie hier erst gar nicht auf.
Andere Seiten und Anwendungen spezialisieren sich wiederum darauf, die gelöschten Inhalte und Tweets wieder sichtbar zu machen, wie Politwoops für Politiker. Die Seite zeigt an, wann ein Post erstellt und wann er gelöscht wurde. Amüsante Verschreiber wie „Hochschuchul“ und komische Forderungen wie „Kräuter statt Daten“, die Politiker und ihr Büro nach wenigen Minuten wieder löschten, werden hier für die Ewigkeit archiviert.
6. Wer bei „Wer wird Millionär?“ Geld gewinnt, darf es komplett behalten, weil es sich um einen „Glücksgewinn“ handelt. Wer bei „Big Brother“ Geld gewinnt, muss es hingegen versteuern, denn er hat es gewissermaßen erarbeitet. Auch den Hauptpreis der nicht ganz so erfolgreichen „Millionärswahl“ von Pro7 muss man versteuern – den hatte der Deutsche Hanfverband vor allem dank seiner guten Onlinepräsenz geholt, denn um teilzunehmen und zu gewinnen, musste man in Onlinevotings bestehen.
In der Sendung für den DHV war Georg Wurth, ein ehemaliger Finanzbeamter, der genau nicht so aussieht, wie man sich einen Cannabisaktivisten vorstellt. Wurth war der einzige Kandidat, der nicht gesungen oder performt hat, sondern nur geredet. Er erzählt, wie das alles so lief mit der „Millionärswahl“, zeigt die bisher noch recht bodenständige Öffentlichkeitsarbeit und Webseite des Vereins und sagt, wie wichtig Facebook für die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins ist (90.000 Fans) – „als hätte man noch ein zweites Internet“.
Die Million aus der Show soll dann dieses Jahr wie versprochen für Lobbyarbeit pro Marihuana-Legalisierung ausgegeben werden. Viel Öffentlichkeitsarbeit und eine Emnid-Umfrage zur Cannabis-Akzeptanz sind geplant, erstmal wurde aber ein Buchhalter eingestellt. Das sind für den DHV dann Betriebsausgaben, die man von der Steuer absetzen kann. Rund 750.000 Euro werden also wohl überbleiben.
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