piwik no script img

"Und dann gnade uns Gott"

■ Im nordirischen Belfast ist das Leben wieder gefährlich geworden. Nach dem IRA-Anschlag fürchten die Leute die "Rückkehr zur Normalität": ein Wiederaufflammen des Bürgerkriegs Aus Belfast Ralf Sotscheck

„Und dann gnade uns Gott“

Die Graffitikünstler reagierten am schnellsten: „Die Hunde bellen auf der Hundeinsel“, stand am Samstag morgen auf einer Wand an der Falls Road. Aber eigentlich weiß niemand in West- Belfast, einer Hochburg der IRA, was nach dem Bombenanschlag auf der Londoner „Isle of Dogs“ in Nordirland geschehen wird. „Ich habe Angst“, sagt eine ältere Frau, die sich mit einem Kopftuch notdürftig vor dem Eisregen schützt. „Mein Enkel ist zwei Wochen vor dem Waffenstillstand geboren. Ich hatte gehofft, daß er in Frieden aufwachsen wird, aber jetzt muß ich dieselbe Angst um ihn haben, die ich 25 Jahre lang um meinen Sohn hatte.“ Ihre Freundin fügt hinzu: „Wenn die IRA den ersten Polizisten tötet, legen auch die Loyalisten wieder los. Und dann gnade uns Gott.“

Die beiden Frauen sind unterwegs ins Cultúrlann, eine ehemalige protestantische Kirche in der Falls Road, die in ein Kulturzentrum umgewandelt wurde. In dem Gebäude ist auch die einzige gälischsprachige Oberschule Nordirlands untergebracht. Die Klassenzimmer, die hinter den Glasscheiben rechts vom Flur liegen, sind am Samstag leer. Doch einige Schülerinnen sitzen im Caife Glas, dem „Grünen Café“ auf der anderen Seite des Flurs. Es gibt nicht viel, was Teenager an einem verregneten Samstag in West-Belfast machen können. Das Café ist mit einem Dutzend kleiner Tische vollgestopft. Die Speisekarte an der Wand ist in irischer Sprache, aber die Pizzas, Salate und kleinen Kuchen liegen in einer Glasvitrine, so daß auch Sprachunkundige wissen, was es gibt. Es ist so warm in dem Raum, daß die beiden Frauen hinter dem Tresen in kurzärmeligen T-Shirts arbeiten.

„Die Disco heute abend in der Innenstadt kann ich vergessen“, sagt eine der 16jährigen. „Meine Alten sagen, man kann nie wissen, wann und wo die Loyalisten zurückschlagen.“ Ihre Freundin sagt, daß ihre Familie sämtliche Sicherheitsvorkehrungen auch nach dem Waffenstillstand beibehalten hat. „Wir machen abends die drei Riegel an der Haustür zu und schließen das Stahlgitter unten an der Treppe ab, wenn wir zum Schlafen nach oben gehen.“ Sie wohnt in einem heruntergekommenen Reihenhaus schräg gegenüber vom Cultúrlann. Dieses Stück der Falls Road hat während der „troubles“, wie man den politischen Konflikt hier nennt, eine Menge Schießereien erlebt. „Für die loyalistischen Kommandos ist die Strecke ideal“, sagt das Mädchen. „Sie kommen von der Autobahn die Donegall Road hoch, biegen rechts in die Falls Road ein, schießen wild um sich und biegen dann rechts in den Broadway in Richtung Autobahn ab. Das ganze dauert keine drei Minuten.“

Die Kreuzung, wo der Broadway auf die Falls Road stößt, ist am Samstag von der Polizei abgesperrt. Die drei Beamten und ihre Kollegin tragen wieder kugelsichere Westen über der Uniform, alle vier sind mit Maschinenpistolen bewaffnet. Sie winken die meisten Autos durch, nur ab und zu lassen sie sich einen Ausweis oder Führerschein zeigen. „Die Bullen sind doch froh, daß es wieder losgeht, weil sie jetzt wieder Gefahrenzulage und Geld für Überstunden bekommen“, sagt Brian, der an der Ecke Broadway in dem kahlen Büro von „Avenue Taxis“ auf Kundschaft wartet. Doch bei dem Wetter sind nicht viele Leute unterwegs.

Die Straße trägt ihren Namen völlig zu Unrecht. Der Broadway wird flankiert von tristen, roten Backsteinhäusern ohne Vorgärten. Am Ende, kurz vor der Autobahn, stehen rechts ein paar Wohntürme. Gegenüber liegt hinter einer langen Mauer das Park Centre, ein Einkaufszentrum. Bis Anfang der achtziger Jahre stand an dieser Stelle der Celtic Park, das Fußballstadion des berühmtesten nordirischen Clubs, Belfast Celtic. Er stellte im Dezember 1948 den Spielbetrieb ein, nachdem es abermals beim Auswärtsspiel im protestantischen Teil der Stadt zu Ausschreitungen gekommen war: Die Zuschauer hatten den Celtic-Star Jimmy Jones auf die Tribüne gezerrt und ihm beide Beine zertrümmert. Celtic Park wurde danach für Windhundrennen benutzt, bis das Stadion dem Einkaufszentrum weichen mußte.

Vor dem Haupteingang steht ein Kamerateam der BBC und befragt die Shopper. „Es ist schrecklich“, sagt eine junge Frau, „die IRA hat kein Recht dazu, uns wieder in den Krieg zu stürzen.“ Zwei andere Frauen, die unschwer als Schwestern zu erkennen sind, kommen hinzu. „Es ist eine Schande“, sagt die eine, „die müssen ja nicht drunter leiden, sondern wir.“ Und die andere meint: „Jetzt müssen die Kinder wieder drinnen spielen, weil es draußen zu gefährlich ist.“ Dann kommt ein junger Mann aus dem Einkaufszentrum. In der linken Hand hält er eine Plastiktüte, mit der rechten zieht er die Kapuze seines Anoraks hoch. „Große Klasse“, grinst er in die Kamera, „was haben wir von den Briten denn schon bekommen? Nichts. Schade, daß die IRA nicht gleich an einem Dutzend Orten gleichzeitig zugeschlagen hat.“ In den Abendnachrichten sind nur die drei Frauen zu sehen, den jungen Mann hat die BBC-Redaktion rausgeschnitten.

„Irgendwann mußte der IRA der Kragen platzen...“

Ein Einzelfall ist er nicht. „Der Frieden war wunderbar, aber die Briten haben die Chance nicht genutzt“, sagt ein Getränkefahrer. „Major ging es doch nur darum, Zeit zu gewinnen und die Unionisten nicht zu verärgern. Als er ihnen vor zwei Wochen auch noch Wahlen für ein nordirisches Parlament versprach, hat es allen die Sprache verschlagen. Wir haben zwar Erfahrungen mit der britischen Taktik gesammelt, aber das war der Wendepunkt. Daß der IRA irgendwann der Kragen platzen mußte, war zu erwarten.“

Paul Little, ein Sozialarbeiter von Mitte 40, hofft, daß die IRA es sich noch mal überlegen wird, aber er gibt sich keinerlei Illusionen hin. „Die Demokratie hat gegenüber denjenigen versagt, die die Waffen niedergelegt haben“, sagt er. „Ich lebe an der Grenze zu einem protestantischen Viertel. Unsere Gegend hat in den vergangenen anderthalb Jahren keinen Penny gesehen, alles ist dort genauso trostlos wie vorher.“

Auch Sinn Féin, der politische Flügel der IRA, und ihr Präsident kommen nicht ungeschoren davon. „Das wird Gerry Adams wohl auf den Boden der Tatsachen zurückholen“, sagt der 50jährige Sean, der seit 20 Jahren keinen festen Job mehr hatte. „Er hatte es sich an Clintons Tisch schon zu bequem gemacht und das Fußvolk zu Hause fast vergessen. Im Gegensatz zu Oliver Stone und Bianca Jagger kann es sich von uns niemand leisten, 200 Dollar für ein Dinner mit Adams zu berappen. Statt sich in Limousinen chauffieren zu lassen, muß er jetzt wohl wieder Bus fahren.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen